DVD der Woche: Ladybird Ladybird
Christina Ruloff - Und es kommt immer schlimmer: Ken Loachs preisgekröntes Sozialdrama richtet den Blick schonungslos, aber auch vorurteilsfrei auf Britanniens Unterklasse und zeigt, dass es nahezu unmöglich ist, zu urteilen oder gar zu verurteilen.Es gibt diese Filme, wo man meint, dass es eigen...
Es gibt diese Filme, wo man meint, dass es eigentlich nicht schlimmer kommen kann, dass die Helden nicht tiefer sinken können... nur um eines Besseren belehrt zu werden. Maggie ist eine dieser ewigen armen Verliererinnen: Von klein auf häuslicher Gewalt ausgesetzt, vom Vater missbraucht, zieht sie immer wieder neue Mistkerle an: Säufer, Schläger, Psychopathen, Nichtsnutze und Feiglinge – Maggie hat sie alle irgendwann gehabt und von vier Männern vier Kinder. Die sind das beste an Maggie und wecken immer wieder das beste in ihr. Wenn man sie mit ihren Kindern zusammen sieht, merkt man, was für ein Mensch in ihr steckt, wie sie sein könnte, hätte ihr das Leben weniger übel mitgespielt. Doch so gibt es eben auch die andere Maggie: Eine hilflose, zynische und vulgäre Frau ohne Berufsausbildung, ohne Umgang und ohne Sozialkompetenzen. Was sie sagt, sagt sie laut, überdeutlich, mit vielen Fucks gespickt und vor allem ohne vorher über die Konsequenzen nachgedacht zu haben. Entsprechend macht sie sich früher oder später überall Feinde, in der Nachbarschaft und auf den Ämtern. Als sie endlich einmal einen anständigen Mann kennenlernt und ein neues Leben beginnen will, ist der Kampf gegen die eigene Vergangenheit fast aussichtslos...
Allein gegen die Welt: Crissy Rock in Ken Loachs vielleicht bestem Film!
Ladybird Ladybird ist ein schockierender Film. Was das Publikum aus der wohlgeordneten moralischen Sicherheit wirft, sind nicht die ungeheuerlichen Vorgänge: Maggie verliert das Sorgerecht ihrer ersten vier Kinder, aber auch ihre beiden Kinder mit Jorge werden ihr weggenommen. Man ist sich aus Spielfilmen so manches gewohnt und würde noch so gerne auch diese Ungerechtigkeit über sich ergehen lassen... wüsste man sicher, dass es sich um eine schreiende Ungerechtigkeit handelt. Die üblen Bürokraten vom Sozialamt sind tatsächlich übel und reden in ihrer von Fremdwörtern gespickten Fachsprache selbstgerecht über ihre Schutzbefohlenen hinweg. Aber haben sie nicht trotzdem Recht? Wie kann eine Frau auf ihre Kinder aufpassen, wenn sie nicht einmal für sich selber sorgen kann? Doch ist ihre Unfähigkeit Grund genug, ihr die Kinder, die sie lieben, wegzunehmen? Müsste man dieser Person nicht helfen, sie unterstützen?
Kurzes Glück: Vladimir Vega wäre der richtige Typ.
Ken Loach urteilt nicht und nimmt dem Zuschauer das Urteilen auch nicht ab. Es schildert, beleuchtet, veranschaulich und zeigt, dass es in vielen scheinbar eindeutigen Fällen kein richtig oder falsch gibt – sondern nur Verlierer. Das ist beeindruckend, gerade von einem Regisseur, der als Anwalt der working poor gilt. Dabei bleibt sich Loach dennoch treu, denn man wird den Eindruck nicht los, dass der Sozialstaat eine ganze Klasse Menschen schon aufgegeben hat und sie mit einem gewissen Ekel lediglich irgendwie zu managen versucht.
Ladybird Ladybird ist in der Arthaus Collection British Cinema erschienen!