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28. November 2007, 11:15 Music Movie

Gone Baby Gone

Christina Ruloff - Boston ist das Herz Amerikas, wenn es um grosse Thriller der letzten Jahre geht: Martin Scorsese und Clint Eastwood liessen ihre Charaktere dort ihr Schicksal finden und ins Unglück rennen. Denn Boston ist nicht wie Los Angeles, Detroit oder New York. Nicht das Verbrechen an sic...

Boston ist das Herz Amerikas, wenn es um grosse Thriller der letzten Jahre geht: Martin Scorsese und Clint Eastwood liessen ihre Charaktere dort ihr Schicksal finden und ins Unglück rennen. Denn Boston ist nicht wie Los Angeles, Detroit oder New York. Nicht das Verbrechen an sich macht die Stadt unheimlich, sondern die Begleitumstände, die Intimität, die Alltäglichkeit und die scheinbare Zufälligkeit der Verbrechen, die dort geschehen. Meistens geht es auch nicht um Drogen, um Geld oder um Erfolg, sondern es geht um Gut und Böse, um Richtig oder Falsch, um die eine Entscheidung, die man immer bereuen wird.

In einem dieser schmierigen Quartiere voller heruntergekommener Holzhäuschen lebte bis vor kurzem die vierjährige Amanda. Sie ist spurlos verschwunden, und nun fahndet die Polizei, die Nachbarschaft fieberhaft nach dem Kind, ohne grosse Hoffnungen zu hegen. Daher werden zusätzlich die beiden Privatdetektive Patrick Kenzie (Casey Affleck) und Angie Gennaro (Michelle Monaghan) engagiert, die sich in den Nachtclubs und bei den Drogendealern auskennen, weil sie üblicherweise Schuldner auftreiben. Zusammen mit der örtlichen Polizei dringen sie das undurchschaubare und dunkle Netz ihrer nicht mehr ganz heilen Welt ein und erfahren, dass die drogenabhängige Mutter des Kindes als Gelegenheitskurier gearbeitet hat und einem lokalen Drogenboss sehr viel Geld gestohlen hat...

Das Kind ist verschwunden, unwiederbringlich?

Dass Ben Affleck – trotz seinem unglücklichen Händchen für Filmrollen und Partnerinnen – ein intelligenter Mensch ist, weiss die Welt spätestens seit Good Will Hunting; daher überrascht es nicht wirklich, dass sein Regiedebüt Gone Baby Gone ein spannender, mitreissender und unangenehmer Film geworden ist. Spannend ist der Film, weil es natürlich keine Guten und Bösen gibt und die Wendungen in diesem Zweiakter für einmal tatsächlich überraschen, nicht aber unlogisch oder gar widersinnig sind. Mitreissend sind die grossartigen Schauspieler, die unangenehme, erbärmliche, selbstgerechte und liebenswerte Menschen darstellen und auf lange Psychologisierung verzichten: Ed Harris wird immer einen ambivalenten Charakter spielen und man wird ihm immer alles vergeben. Casey Affleck ist bekanntlicherweise mehr als nur der Bruder von Ben; er ist derjenige, der tatsächlich schauspielern kann. Morgan Freeman gibt wie so oft die moralische, weise Instanz – man hätte gerne mehr von ihm gesehen. Die Kameraarbeit von John Toll (Braveheart, The Thin Red Line) zeigt die Stadt denn auch als düsteren, gefährlichen Ort (der Film ist unheimlich dunkel gefilmt und nicht hinterher aufgepeppt worden!), nicht aber als Gruselkabinett.

Wenn Morgan Freeman einen bitten würde, von einem Felsen zu springen, man würde ihm ohne zu zögern gehorchen. Der Mann verkörpert in Hollywood die Weisheit schlechthin.

Warum ist dieser Film aber unangenehm? Weil er ähnlich wie Mystic River (dessen Vorlage auch von Dennis Lehane stammt) am Ende mit der grossen moralischen Keule kommt und alles und jeden hinterfragt, Antworten suggeriert und zugleich so tut, wie wenn es für das moralische Dilemma der Hauptfiguren keinen Ausweg gäbe. Gone Baby Gone gefällt sich als tiefsinniger Film, schiesst aber mit seinen gewollten Bostoner Klischees weit über Ziel hinaus: Wahrheiten müssen nicht immer herausposaunt oder zu Tode diskutiert werden. Ihr Wesen liegt eben darin, dass die Figuren und Zuschauer sie selber finden.

Bewertung: 3 von 5

Ed Harris wird immer die interessanteste Persönlichkeit spielen. Gäbe es solche Menschen doch auch abseits der Leinwand!

  • Originaltitel: Gone Baby Gone
  • Land: USA
  • Genre: Drama
  • Dauer: 119 Minuten
  • Regie: Ben Affleck
  • Darsteller: Casey Affleck, Ed Harris, Morgan Freeman, Michelle Monoghan
  • Verleih: Buena Vista
Kinostart: 29.11.2007
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