DVD der Woche: Irina Palm
Christina Ruloff - Maggies (Marianne Faithful) Enkel ist totkrank und allein eine Behandlung in Australien kann sein Leben noch retten. Die beiden Eltern, Maggies Sohn und dessen Frau, sind zermürbt und entsetzlich verzweifelt, weil sie genau wissen, dass sie das notwendige Geld nicht auftreiben k...
Zeigt her eure Hände! Marianne Faithful lernt Miki Manojlovic und das Sexmilieu kennen... und schlägt sich durch.
„Arglose Mittelklassefrau befriedigt Männer in Sexmilieu um ihren Enkel zu retten“, könnte eine Zusammenfassung zu Irina Palm lauten. Und tatsächlich gehört Sam Garbarskis wunderbarer Film zum Genre des „Englischen Feelgood Movies“, wo die Ausgangslage trostlos, die Charaktere verschuldet oder totkrank und die Lösung des Problems originell und witzig sind. In Irina Palm ist die Welt aber dermassen kalt und grau und von gesellschaftlichen Missstände gepaart mit sozialem Terror und unmenschlicher Gleichgültigkeit beherrscht, dass jede glückliche Wendung – allen voran der Deus ex Machina im freundlichen und einsamen Zuhälter – die Tristesse und das Wissen um die Realität nur untermauert. Wir wissen in jeder Sekunde, dass in Wirklichkeit alles entsetzlich ausgehen würde und in diesem Wissen ist es tröstlich, dass Sam Garbarski einem ein unwahrscheinliches Märchen vorspielt und einem 100 Minuten Pause von der Welt gönnt.
Immerhin ist die Heldin Maggie auch kein hässliches Aschenputtel, das immer schöner wird, sondern eine ganz gewöhnliche Person. Ihre Wohnung ist bieder eingerichtet, ihre Kleidung dermassen alt und schäbig, dass man nicht einmal von Retro-Chick sprechen könnte, sie schlurft schwer durch die Strassen, ist sie auch nicht mehr die Jüngste. Das bisschen Selbstachtung, das der vom Leben eingeschüchterten Frau geblieben ist, die sogenannte Würde kann sie sich in ihrer Situation nicht leisten. Sie überwindet daher ihren nur nachvollziehbaren Ekel, ihre Scham und ihre Angst – und entdeckt ein neues Selbstwertgefühl, weil sie zum ersten Mal in ihren Leben Anerkennung kriegt. Berufliche Anerkennung für ihre sehr erfolgreiche Arbeit und persönliche Wertschätzung für ihren Mut, ihre Entschlossenheit und den kleinen und doch ungeheuren Wandel, den sie durchmacht.
Augen zu und durch. Maggie erarbeitet sich Geld und Anerkennung.
Marianne Faithful war bislang „nur“ als Popikone berühmt; in ihren bisherigen Filmen spielte sie vor allem sich selbst, die coole Person und das Sexhäschen. Hier ist sie aber einfach wunderbar – schäbig, naiv, hartnäckig und vor allem grundanständig und menschlich. Wenn der grosse serbische Schauspieler Miki Manojlovic im Film sagt, er möge ihren Gang, wissen wir, dass er beeindruckt ist, zu Recht. Und wenn die beiden sich dann auf eine Art anschauen, wie es im Kino nur ganz, ganz selten passiert, und das melancholisch schöne Score von Ghinzu ertönt, gönnt man ihr dieses unwahrscheinlich glückliche Ende. Es ist der kleine Lichtblick in diesem düsteren und umwerfenden Film von Sam Garbarski, der von der absurden und zum Teil humorvollen Story übers Casting bishin zur hervorragenden Kamera- und Lichtführung einfach alles richtig gemacht hat.
Bewertung: 5 von 5
Miki schaut vom Game Boy-Spielen auf... und ist beeindruckt.
- Originaltitel: Irina Palm
- Land: GB, BE, F
- Genre: Tragikomödie
- Dauer: 103 Minuten
- Regie: Sam Garbarski
- Darsteller: Marianne Faithful, Miki Manojlovic, Kevin Bishop
- Bonus: Spannende und informative Dokumentation mit Interviews und Probeaufnahmen: 23 sehr gut angelegte Minuten