3. Mai 2010, 17:00
Kolumnen
BLAUE STUNDE - GESCHICHTEN AUS DEM STUDENTENKELLER
Elisabeth Ramm - Komme zu spät in den Spanisch Sprachkurs, bin wie blöd durch die Stadt gehetzt auf der Suche nach was essbarem – ohne Zucker kann ich einfach nicht denken – der Bahnhofscoop ist um die Zeit üblicher Weise völlig überfüllt und da ich an Entscheidungsfindungsproblemen lei...
Komme zu spät in den Spanisch Sprachkurs, bin wie blöd durch die Stadt gehetzt auf der Suche nach was essbarem – ohne Zucker kann ich einfach nicht denken – der Bahnhofscoop ist um die Zeit üblicher Weise völlig überfüllt und da ich an Entscheidungsfindungsproblemen leide hat es eben noch länger gedauert bis das richtige Sandwich gefunden war. Also rein in die Polybahn und rauf auf den Berg. Ich traue mich kaum meinen Arm zu heben aus Angst die Nachbarin könnte etwas von meinem zugegeben unangenehmen Geruch bemerken gegen den ich leider im Moment kein Deo einstecken habe. Meine Haare sind auch nicht mehr die frischesten und die Einpackwurst für die ich mich letzten Endes entschieden habe verteilt sich gerade in meinem Magen und verursacht dort ein unangenehmes Völlegefühl. Endlich reisse ich die Tür des Hörsaales auf, nehme absichtlich eine etwas bucklig unterwürfige Haltung ein ( es sind immerhin schon fast 15min die ich hier versäumt habe ) und suche mir schnell einen Platz am Rand um nicht noch mehr aufzufallen. Meine Nachbarin ist eine dezent blond gefärbte Schönheit, wohlriechend, mit grauer Flanellstrickjacke und weissem Poloshirt drunter. Sie hat ihr Buch bereits ordentlich aufgeschlagen, Kugelschreiber und Heft liegen schreibbereit daneben. Sie wendet sich demonstrativ von mir ab. Während ich noch leise vor mich hin schnaufe und versuche mich auch emotional auf die bevorstehenden 60 minuten einzustellen krame ich verzweifelt in meiner Tasche, versuche mein Buch zu finden, das ich mir doch ganz streberhaft schon gleich am ersten Tag in der Unibuchhandlung gekauft habe. Doch während ich immer hektischer in den Untiefen meiner riesigen Tasche wühle steigt eine schreckliche Ahnung in mir auf.....ich habe es vergessen. Mein Buch. Zuhause auf dem Schreibtisch liegen gelassen. Ich finde nur meinen Notizblock, nicht aber die Bücher. Mit unheimlich grosser Anstrengung, ( ich bin ja so ein Esel ) schaffe ich es meine Banknachbarin liebenswürdig zu bitten, ob es eventuell möglich wäre in ihr Buch zu sehen. „Ahaaa...ja chlarr..“ Gibt sie ebenso liebenswürdig zurück. Dabei verschiebt sie ihr Buch um einen halben Zentimeter in meine Richtung und ich versuche meine Glubscher soweit wie möglich zu verdrehen, bis ich etwas von den schwarzen Zeichen erkennen kann. Und dann geschieht das Unglaubliche. Das schier Unfassbare. Es geschieht das, was mich bis heute nachts schweiss gebadet aufwachen lässt und mir die Röte ins Gesicht treibt. Wir werden aufgefordert die Spanischen Texte während der Hörlektion mit zu sprechen und plötzlich bemerke ich auf meiner Seite des Buches unübersehbar einen nassen Fleck. Er ist nicht besonders gross. Aber immerhin gross genug um als solcher wahrgenommen zu werden. Beim ehrgeizigen nachsprechen spanischer Umlaute muss mir wohl aus versehen eine kleine Menge Spucke aus meinem Mund entwischt sein. Ich beobachte wie die Flüssigkeit langsam in die Seite einzieht. Ich hadere mit mir ob ich den Fleck mit einer Handbewegung wegwischen oder ob ich das Malheur lieber ignorieren soll. Ich entscheide mich für das letztere und versuche dem Unterricht zu folgen. Aber ich kann mein Missgeschick nicht ignorieren und während ich immer noch verstohlen die Entwicklung des Spuckflecks auf der Buchseite meiner Banknachbarin beobachte, sehe ich in der mitte einen winzigen Wurstrest, der sich nun mit der Speichelflüssigkeit vermischt... Ja. Ja ich weiss. Es gibt schlimmeres. Erdbebenopfer, Hungerkatastrophen, Weltkriege, soziales Elend....aber mein Elend war hier. Mein ganzes trauriges Dasein nässte sich plötzlich von einer Buchseite auf die Andere, gepaart mit den letzten Resten einer gierig verschlungenen Cervelatwurst.
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