Dani Levy im Interview
Gregor Schenker - Diesen Donnerstag kommt Das Leben ist zu lang ins Kino, der neue Film des Basler Regisseurs Dani Levy (Alles auf Zucker!, Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler). Das Werk handelt von Alfi Seliger, einem Filmemacher in der Lebenskrise: Seine Karriere is...
Regisseur Dani Levy redet mit Students.ch über seinen Film.
Students.ch: „Das Leben ist zu lang“ fängt wie eine ganz normale Komödie an, wird aber nach einem Twist zur Halbzeit zu einem selbstreflexiven Film, zu einer Komödie über Komödien.
Ja, das ist ein Spiel mit der Realität und letztlich auch mit dem, was wir in unserem Leben wahrnehmen. In unserer Zeit sind wir es gewohnt, dass die Realität immer auch eine inszenierte Realität ist. Ob im Kino, im Fernsehen oder im Internet, wir sind es gewohnt, dass unser Leben abgebildet wird, dass es von anderen Leuten konsumiert wird; unser Leben wirkt klein im Vergleich dazu, was die Reflexion über das Leben ist. Und darum ist es mir gegangen: Der Film muss aus dieser Illusionsmaschinerie heraustreten, nicht einfach in sich verkapselt sein. Das ist ja nicht meine Erfindung, das gibt es immer wieder in der Kunst, ob jetzt in Romanen, Filmen oder sogar Installationen, dass Werke sich mit sich selbst auseinandersetzen. Ich fand das als Spielerei sehr schön und ich finde es gut, wenn ein Film nicht einfach hundertprozentig bequem und passiv durchzukonsumieren ist, wenn man stattdessen einen kleinen Erweckungsschlag kriegt. Damit man eben nicht einschläft und einem bewusst wird: „Aha, die Realität ist ja eigentlich gar nicht so fest. Der Boden, auf dem ich stehe, der kann sich öffnen und ich lande auf einer neuen Ebene.“
Students.ch: So geht es Alfi ja im Film, wenn er plötzlich aus seiner Realität heraus fällt.
Es ist wie ein Reality Check. Im Leben kenn ich das auch, in einer anderen Form natürlich. Dass ich in einer bestimmten Situation bin und so was wie einen Blitz der Erkenntnis kriege, so dass ich die Situation als irreal empfinde. Oder dass ich plötzlich denke: „Das ist ja nur der Schein einer Situation, die Situation ist eigentlich eine ganz andere.“ Oder: „Was spielen wir da eigentlich grade?“ Wir sind ja darauf konditioniert, dass wir in unserem Leben von Rolle zu Rolle hüpfen. Und wir können mit unserer Erfahrung, unserem geistigen Vermögen in dieser Welt nur so weit schauen, wie wir halt schauen können; das ist die Dimensionalität vom Menschen. Das zu hinterfragen, oder zumindest eine Verunsicherung zu erreichen, das war meine „Luusbuebe“-Aktion.
Students.ch: Der Film zeigt, wie Alfi einen solchen Reality Check durchmacht. Aber es gibt auch die Caro Will (Yvonne Catterfeld): Sie durchschaut das Spiel ebenfalls, doch sie geht damit ganz anders um als er.
Genau, sie will in dieser Welt bleiben. Das ist natürlich bewundernswert, auf eine bestimmte Art ist sie für mich ein Ideal. Ich leide ja oft darunter, dass ich mich so sehr hinterfrage und dass ich so verunsichert darüber bin, in welcher Realität ich mich eigentlich am wohlsten fühle.
Students.ch: Du hast eh viel von dir in diesen Film einfliessen lassen. Aber du bestehst darauf, dass er kein autobiographischer ist.
Auf keinen Fall. Ich betone ja immer diese Differenzierung zwischen einem autobiographischen Film und einem persönlichen Film. Es ist sicher ein Film, der von mir durchdrungen ist, in dem Gedanken von mir sind; ich lasse Alfi bestimmte Fragen oder Bekenntnisse formulieren, ich lege ihm Dinge in den Mund, die ich interessant oder zumindest für einen Diskussionsanstoss relevant finde. Aber der Film spiegelt nicht mein Leben; ich hab doch ein substantiell anderes Leben als der Alfi Seliger (und hoffentlich auch ein leichteres). Ich habe das auch nur so machen können. Wenn ich noch im Kopf oder im Gefühl gehabt hätte, dass ich einen Film über mich selbst mache, wäre ich wahnsinnig befangen gewesen. Zwar hab ich es erwogen, einen Film über meine Situation zu machen, so semidokumentarisch, oder wie auch immer. Aber ich habe mich dann dagegen entschieden und mir gedacht: „Es ist doch schöner, wenn ich bestimmte Sachen von mir zur Verfügung stelle – teilweise in einem anderen Kontext –, aber die Figur Alfi Seliger eine ganz andere, fiktionale Figur ist, die ich von A bis Z selbst erfinde.“ Eine Autobiographie interessiert mich nicht, aber ich mag es ganz gern, we man sich fragt: „Was ist jetzt biographisch am Levy, wo steckt er wirklich drin, was ist erfunden, was ist wahr, wo ist er authentisch, wo liegt eine humoristische Überhöhung vor?“
Students.ch: Du trittst ja auch selber auf, als Regisseur im Film.
Das hat wieder zu tun mit diesem Spiel mit den Realitäten. Es ist auch für mich ein eigentümliches Erlebnis gewesen, in meinem Film als ich selbst aufzutreten; das ist fast schon schizophren. Aber diese Idee hab ich ganz lustig gefunden. Eigentlich ist es eine religiöse Frage. Ob es einen Schöpfer gibt, ob man ihn erkennt – meist bleibt er ja unsichtbar – und wenn man ihn jetzt treffen könnte (theoretisch, falls es einen gibt; da bin ich ja eher skeptisch), was würde man ihm dann sagen? Für Alfi ist es klar, er sagt: „Das Leben will ich nicht leben, das du mir da geschrieben hast, das ist Nebbich. Das ist keine Rolle, die mich interessiert, ich will ein eigenes Leben.“ Von da an hat er eine ganz andere Kraft, er ist nicht mehr ein Opfer des Schicksals, sondern hat erkannt, dass auch das Schicksal eine Inszenierung ist. Es ist in jeder Gesellschaft, für jeden Menschen eine wichtige Frage, ob man selber verantwortlich ist für das, was man erlebt, oder ob es jemanden gibt, der einen lenkt. Jeder muss für sich entscheiden, ob es eine höhere Lenkung gibt, oder ob man selbst das Zentrum für das ist, was einem widerfährt. Ich bin eindeutig zweiter Meinung. Das macht mich auch hoffnungsfroher, als wenn ich jemandem ausgeliefert wäre. Aber es ist trotzdem schwierig. Ich glaube, im Bezug auf das, was man an Energie im Leben ausstrahlt und auf das, was einem davon wieder begegnet, ist alles sehr rätselhaft und für jeden von uns ziemlich undurchschaubar.
Students.ch: Für Alfi ist es ja besonders schwierig, er findet sich in einer klischeehaften Unterhaltungskomödie wieder, also genau in dem, wogegen er ankämpft.
Genau. Das ist ja das Qualvolle für ihn, dass ihm nicht nur übel mitgespielt wird, sondern dass sein Leben auch eine schlechte Komödie ist. Auf eine Art ist das übrigens wie eine Generalentlastung für mich, weil ich sagen kann: „Alles, was nicht so gut ist, hab ich bewusst schlecht inszeniert.“ [Lacht.] Alfi kann sich aber dagegen auflehnen, so dass sich am Schluss die Ebenen ständig vermischen. Ich finde es schwierig, über diesen Film zu reden, weil er einen solch surrealen, unterbewussten Ansatz hat.
Students.ch: Seltsamkeiten gibt es ja nicht erst mit dem Twist, sondern vorher schon. Zum Beispiel, was die Sache mit dem homöopathischen Wahrheitsserum anbelangt. Oder in der Szene, in der Afli in einen Kinosaal stolpert und sich selbst auf der Leinwand sieht.
Wobei das nicht wirklich logisch ist. Der Levy würde ja nie in dem Film Hinweise darauf geben, dass das ein Film ist, er versucht ihn so hermetisch wie möglich zu halten. Das ist eine schwierige Notstelle in der Handlung, ein etwas fragwürdiger Übergang. Eigentlich müsste es so sein, dass Alfi aus einer geplanten Einstellung plötzlich rausläuft; er will aus dem Synchronstudio wieder raus, plötzlich hört er, dass aus irgendeinem Kino gelacht wird, er macht die Türe neugierig auf und so weiter; das ist dann unvorhergesehen für den Levy. Aber wie gesagt, so ist das mit der Realität in der Realität, mir wurde manchmal ganz schwindlig, wenn ich mir das so überlegt hab.
Students.ch: Man könnte das ja auch so sehen, dass Alfi verrückt ist und sich das alles nur in seinem Kopf abspielt; dann wäre das mit dem Kino ein früher Hinweis auf seinen Wahnsinn, der erst nach dem Suizidversuch voll durchbricht. Überhaupt bietet der Film viele Interpretationsmöglichkeiten.
Der Film ist auch sehr intuitiv entstanden. Es war nicht so, dass ich den jahrelang sehr genau geprüft habe, dass ich alles niet- und nagelfest und wasserdicht gemacht habe. Er ist schon ein bisschen skizzenhaft oder fragmentarisch in gewissen Sachen. Ich habe mit dem Film auch gerungen, ich war mir nicht sicher, ob das funktioniert. Ob das Publikum den Weg mitgeht, auch den Weg raus aus dem Film, um dann wieder einzusteigen. Alfi gerät ja auf die andere Seite, dann wird wieder zurück geschnitten und man ist wieder im Film drin. Aber man hat ein anderes Bewusstsein. Ich habe überhaupt nicht gewusst, ob das funktioniert, ich bin mir bis heute nicht sicher. Aber ein Film kann ja auch ein Abenteuer oder ein Risiko sein. Ich find es schön, wenn Filme komische Reisen sind, bei denen man nicht weiss, wo sie hinführen. Und dieser Film ist eine sehr eigenartige Reise gewesen, die mich extrem mitgenommen hat. Ich habe mich bei diesem Film immer sehr unsicher gefühlt, die ganze Zeit hindurch.
Students.ch: Eins hat mich noch gewundert: Im Film geht’s ja auch darum, dass Alfi einen Film über die dänischen Mohammed-Karrikaturen machen will. Aber über diesen Film im Film wird ja nur gesprochen, du zeigst nicht, was Alfi vorgehabt hat.
Alfi beschreibt den Film ja zum Beispiel in der ersten Szene dem Bully Herbig; es geht um diesen Karikaturisten, der eine Karikatur machen will; es gibt den Herausgeber der Zeitung, der sich nicht sicher ist, ob er die drucken soll, und es gibt dessen Frau, die ihn davon überzeugt, es doch zu tun. Dann erfährt man noch einmal etwas in dieser Szene mit den komischen Zwillingsschreibern; man weiss, dass es auf dieser Zeitungsredaktion spielt, dass es darum geht, ob man diese Provokation wagen will oder nicht. Ich hab jetzt nicht das Gefühl gehabt, dass man das auch sehen müsste. Aber klar, das hätte man noch machen können, als Film im Film, noch eine Verpuppung nach innen. Ich hab auch eine Vorstellung, wie dieser Film aussehen könnte, wobei ich jetzt kein Drehbuch dafür geschrieben habe. Aber das wäre schon ein superinteressantes Thema. Was man da drüber gelesen hat, war ja zum Teil extrem widersprüchlich; es gibt Darstellungen, dass die Karikaturisten selbst völlig überrascht gewesen sind, es gibt andere Darstellungen, dass das eine gezielte Konfrontation war. Und dann gibt es zum Beispiel den Westergaard, der bis heute versteckt lebt, der am Weihnachtsabend in den Panic Room fliehen musste, weil einer mit der Axt eingebrochen ist. Und es gibt noch andere Geschichte über den ganzen Vorfall, völlig absurd. Gleichzeitig werden die Karikaturen in Galerien zu einem Heidengeld verkauft. Unsere Gesellschaft ist so widersprüchlich, zwischen der Kommerzialität von Sensation und der bedrohten Existenz dieses Karikaturisten. Das ist ein interessantes Feld. Es ist also kein Zufall, dass Alfi dieses Projekt hat. Aber ich habe nicht das Gefühl, ich müsste jetzt im Moment diesen Film machen.
Die Kritik zum Film findet sich hier.
Und ein Interview mit dem Hauptdarsteller Markus Hering gibt es hier.
Bilder von Filmcoopi