Wild, Wild West #1: Generation FB
Samuel Schumacher - Sie haben alles, die Amis, nur leider keine Zeit, es zu geniessen... Baschi macht sich auf Grosse Fahrt, und was Mr. National kann, das schaff ich doch auc...
Baschi macht sich auf Grosse Fahrt, und was Mr. National kann, das schaff ich doch auch. Während sich unser Jahrtausend-Musiker bei den germanischen Nachbarn Gehör verschaffen will, führte mich meine Grosse Fahrt ins staubige Arizona, wo ich an der Northern Arizona University in Flagstaff dem akademischen Geist der Welteroberer auf den Zahn fühlen und die US-Verbraucher-Mentalität kräftig auskosten möchte. Um den Rest dieses herrlichen Landes nicht zu vernachlässigen, hänge ich an mein NAU-Semester einen siebenmonatigen Roadtrip an. Schliesslich gibt’s hier im Land der sich langsam aber sicher begrenzenden Möglichkeiten wunderschöne Gegenden, die man auf Grosser Fahrt keinesfalls links liegen lassen sollte.
Der Verkäufer im REI Outdoor Center in Denver, in dem ich vor ein paar Wochen meine Campingausrüstung zusammenkaufte, fragte zweimal nach. Sieben Monate Roadtrippen? Ja, sieben Monate Roadtrippen. Schliesslich habe das Land – rein landschaftlich – viel zu bieten und man sei ja nur einmal jung und so. Trotzdem, das verdiene Bewunderung. Bewunderung wofür? Für die Musse, die ich haben müsse, um mir all diese Zeit beiseite zu schaufeln und mich aus dem Alltagsleben auszuklinken. Das sei etwas, das die Amerikaner in den vergangenen Jahren verlernt hätten. Amerika, erklärte mir der REI Verkäufer, sei süchtig nach Dauerimpulsen, brauche im Minutentakt neue Aufhänger und Aufreger. Ohne den Dauerimpuls fühlten sich die Amerikaner nicht mehr wohl, einsam, verloren. Sieben Monate einfach nur still geniessen, das liege da nicht drin.
Der amerikanische Dauerimpuls klatschte mir im Mietwagen auf dem Irrweg aus dem Denver Stadtkern in Form von tausenden, wild blinkenden Leuchtreklamen ins Bewusstsein. Wie anderswo stille Nationalrats-Werbeplakate ringen sie entlang der Highways funkelnd und blitzend um Aufmerksamkeit. Als braver Europäer wurde es mir beinahe schwindlig vor lauter Impulsen. Und dann, inmitten all der elektronischen Stimulatoren, ein junger Mann, der im Stile eines Innerschweizer Fahnenschwingers eine Werbetafel für ein Matratzengeschäft in der Luft umherwirbelte. Um in all dem Elektrosmog kundenwirksam für Aufmerksamkeit zu sorgen, setzen die Amerikaner also wieder auf den lebendigen Menschen als Werbeplattform. Back to the Roots. Für den Werbe-Impuls ist auch dieses Mittel recht.
Hier in Flagstaff, rund 1500 Meilen südwestlich von Denver, sorgen tausende College-Studenten für anhaltenden Nervenkitzel, indem sie sich während den Vorlesungen, parallel zum Mittagsburger oder per Blackberry auf dem Schulweg konstant via Facebook auf dem Laufenden halten und ihren 537 friends im Halbstundentakt ihre neusten Gemütszustände unter die digitale Nase reiben. Wer nicht dauernd up-to-date ist, wer nicht alle immer gleich über seinen nächsten Schritt in Kenntnis setzt, fällt durchs Netz. Verschnaufpausen gibt es scheinbar nicht, ausser, man lässt alle anderen per Statusmeldung daran teilhaben. Der Hype wird vom amerikanischen Umfeld durchaus gepusht. CNN fordert die Zuschauer auf, per Facebook den Polizeieinsatz einer rassistischen Beamtentruppe auf Afro-Amerikaner-Jagd in den Suburbs von Dallas zu beurteilen. Chiquita klebt auf jede seiner Bananen einen Sticker, über den man per Facebook Fan werden kann. Und wer dem NAU-Flyfishing-Club beitreten will, kann das weder per Email noch per Internet noch per Post tun, sondern muss die Flyfisher per Facebook befrienden. 9 Stunden, behauptet mein Lonelyplanet Reiseführer, ist der amerikanische Durchschnittsteenager pro Tag mit elektronischen Geräten beschäftigt. 9 Stunden Dauerimpuls. Da bleibt leider keine Zeit, die Zeit zu geniessen. Musse wird aufgeschoben. Wichtig ist bloss, ja nichts zu verpassen.
That's it? Nein, nicht ganz... Auf www.insideusa.ch gibt's mehr, viel mehr!