Wild, Wild West # 3: How we rule the world
Samuel Schumacher - Atombomben, Nazi-Schweizer und weshalb die Kanadier nicht zählen... Dieses Land ist wunderschön. Vielleicht ist es das schönste überhaupt. Vielleicht auch nicht. M...
Dieses Land ist wunderschön. Vielleicht ist es das schönste überhaupt. Vielleicht auch nicht. Mir jedenfalls kommen die unendlich weiten Landschaften, die kargen Wüsten, klaren Bergseen, riesigen Metropolen und charmanten Small Towns paradiesisch vor. Ich habe mich verliebt, und wie das so ist mit der Liebe, gehts meistens nicht ohne Drama und Downfalls. Eines der grössten Dramen dieser Liebe ist die amerikanische Art und Weise, über sich selbst und die Welt nachzudenken und lauthals kundzutun, wo der Macht-Hammer hängt und auf wen er gnadenlos niedergeschmettert werden soll.
Personifiziert wird dieses amerikanische Drama in meiner Welt durch Professor David A. Nesheim, der an der Northern Arizona University moderne amerikanische Geschichte unterrichtet und unter im Ventilatorenwind wehenden US-Flaggen dreimal wöchentlich vor rund 100 brav zuhörenden Studenten über den Werdegang der „greates nation on earth“ referiert. Nesheim tut dies in locker hin und her wankendem Schritt, ohne jemals still zu stehen. Eine Hand meist in der Hosentasche. Die andere an der Fernbedienung des Beamers. Der Auftritt alleine lässt nichts akademisch Hochstehendes erhoffen.
Zum ersten Mal für leises Kopfschütteln meinerseits sorgte Nesheim, als er in seiner Einführungs-Vorlesung kurz auf den Zweiten Weltkrieg zu sprechen kam und daran erinnerte: „Yeah, that was when we defeated those damn Nazis with their damn chaps.“ Nicht gerade die feine Art, über dieses dunkle Kapitel in unserer Geschichte zu sprechen, das Nesheim – by the way – als nicht gar so dunkel empfindet, da Amerika schliesslich auch diesen Krieg gewonnen hat und somit eigentlich ja alles im Lot ist. Während den vergangenen neun Wochen hat mich Nesheim immer wieder geschockt. Dann etwa, als er sechs Freiwillige suchte, um im Hörsaal ein Reenactment des Ersten Weltkrieges durchzuführen. Die Freiwilligen mussten sich in zwei Gruppen gegenüberstehen und einander theatralisch niederschiessen, bis alle „tot“ auf dem Boden lagen. „That’s basically what happened back then“, so Nesheims Kommentar dazu.
Letzten Freitag ging Nesheim so weit, dass ich mich nur schon meines Gewissens wegen bloggend an ihm rächen muss. Es ging um den Holocaust, den atomaren Krieg und die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Dass Nesheim in seiner Kurz-Zusammenfassung des Holocaust für einmal keinen verbalen Tiefschlag setzte, dankte ich ihm innerlich. Hätte er es getan, dann wäre ich wohl aus allen Näten geplatzt und hätte ihm trotz der mir national verschriebenen neutralen Haltung (für die wir Schweizer hier übrigens sehr berühmt sind, auch bei jenen, die keine Ahnung haben, wo und was die Schweiz eigentlich genau ist) die Leviten gelesen. Beim Thema atomarer Krieg lief Nesheim zu gewohnter Hochform auf. „Who thinks: Hell yeah, we should have dropped that bomb on the japs?“ Diese Frage wählte er, um in das – wie ich finde – heikle historische Thema einzuleiten. Die Atombombe bezeichnete Nesheim als “a fun thing” und fand, “that bomb is truly bad-ass”, auch wenn “uncle Joe” (Stalin) wahrscheinlich nicht so begeistert gewesen sei, als Amerika 1945 Hiroshima und Nagasaki atomar niederbombte.
Zur Frage einer Studentin, weshalb die Schweiz trotz ihrer zentralen Lage von den Nazis verschont blieb, antwortete Nesheim, dass es dafür zwei Gründe gäbe. Erstens, die Schweiz sei die „Nazi treasury“ (Schatzkammer der Nazis) gewesen und habe sich um die Finanzen der agressiven nördlichen Nachbarn gekümmert. Zweitens, die Schweiz sei „surrounded by high mountains and therefore hard to conquer“. Ich habe mir innerlich vorgestellt, wie Nesheim in einem historischen Celebrity Death Match von der Bergier Kommission in Stücke gerissen und zum akademischen Anti-Helden massakriert wird. Bin ich aus dieser hohen Bergwelt ausgebrochen, um mir in Übersee solchen Stumpfsinn anzuhören? Muss ich mir das als (nicht gerade wahnsinnig stolzer) Eidgenosse von einem arroganten Neu-Weltler anhören lassen? Wer hat diesem Mann seine akademischen Würden verliehen? Wo kann ich dagegen Einspruch erheben? All diese Fragen schwirrten mir durch meinen verstörten Kopf, und nur aus weiter Ferne bekam ich mit, wie Nesheim zum Schluss der Stunde auf eine Frage aus dem Plenum antwortete. Ein Typ zwei Reihen vor mir wollte wissen, weshalb man den Kanadiern für deren Beteiligung am D-Day „never any credit“ gebe. Nesheim meinte (in vollem Ernst): „Because this is American history, not Canadian science.“ Das fasst es eigentlich schön zusammen: This is American history; hier gehts darum, uns selbst zu verherrlichen. Was die anderen betrifft, kann uns ja eigentlich egal sein.