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11. Dezember 2010, 18:57 Kolumnen

Shots no. 17: Subtepogo

Dominik Mösching - Natürlich, Tango. Es werden aber auch noch ganz andere Stile getanzt in Buenos Aires. Ein Überblick über die Szene.

Eine Dame und ein Herr mittleren Alters, elegant angezogen, korrekt frisiert und mit ernsten Gesichtern, gleiten eng umschlungen über den Tanzboden. Andere Paare tun es ihnen gleich, während an den Tischen weitere Damen und Herren das klassische Ritual des Aufforderns durchspielen: Kurze Blickkontakte und Kopfnicken. Wir befinden uns in einer Milonga, einem traditionellen Tango-Tanzlokal. Im Zentrum von Buenos Aires kommt man am ikonischen Tanz nicht vorbei, und gerade an Sonntagen schwebt der Klang des Bandoneóns, dieses melancholischen Akkordeoncousins, über den besser betuchten Vierteln der Stadt. Das Bandoneón hat sich längst in der klassischen Musik (bahnbrechend Astor Piazzolla) etabliert und spielt durch die Fusion mit Elektro (Gotan Project, Bajo Fondo, Otros Aires) auch im Pop eine Rolle.

So weit, so gut. Schlendere ich durch Viertel wie Constitución und Flores oder fahre ich mit dem Zug durch den Vorortgürtel, ist die Milonga nur noch ferne Erinnerung. Hier dominiert eindeutig die Cumbia. Das schleppende Tschagg-tschaga-tschagg des ursprünglich kolumbianischen Musikstils dröhnt aus den Lautsprechern von Kneipen, Marktständen und vorbeischleichenden Autos. Längst hat Argentinien mit der Cumbia Villera – "Elendsviertel-Cumbia" – seine Antwort auf die soziale Sprengkraft des Hip Hop gefunden. Andere Bands vereinen die Latinrhythmen mit Ska, Reggae und Punk. Diese Mischung, man kann sie als Rock Mestizo bezeichnen, ist allgegenwärtig und läuft im Carrefour genauso wie im Burger King. Dafür Pionierarbeit geleistet haben in den Neunzigern Los Fabulosos Cadillacs. Getanzt wird das Ganze weniger elegant angezogen, dafür aber auch weniger ernst blickend als der Tango.

Der Ort, wo sich die eleganten und die weniger eleganten Porteños treffen, ist die U-Bahn. In der Subterranen oder kurz Subte kommt man in der Regel deutlich schneller ans Ziel als in den Bussen, genannt Colectivos. Um deren Liniennetz zu verstehen braucht man übrigens einen Abschluss in Organisationsstrukturalistik sowie mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Chaostheorie. Die Fahrtzeit kann zudem durchaus um den Faktor vier variieren, wenn die 40'000 Taxis im Willen, das schnellste Verkehrsmittel zu sein, wieder einmal alle Strassen blockieren. Bleibt also die Subte. Und weil sich das alle denken, pendelt man in Buenos Aires mit vollem Körpereinsatz wie im Pogo, dem Rempeltanz der Punks. Getanzt wird der Subtepogo selbstredend eng umschlungen und mit ernstem Gesicht. Innovativ ist das Ritual des Aufforderns, das ganz ohne Blickkontakt und Kopfnicken auskommt: Bei jeder Haltestelle wechseln die Tanzpartner in einem lustigen, nur wenige Sekunden dauernden Moshpit.

Und so hat auch die Subtepogo-Szene ihre ganz eigenen Erkennungsmerkmale – verschwitzt, aber als einzige pünktlich bei der Arbeit.

Ernst, elegant, melancholisch, ikonisch: Tango.

...und der Klang des Bandoneóns schwebt über der Stadt.

Warten auf den Zug durch den Vorortgürtel.

Verdopple deine Geschwindigkeit: Im Pendelverkehr meist ein frommer Wunsch.

Die Avenida 9 de Julio gilt als die breiteste Strasse der Welt. Da würde ich auch pressieren.

Nach dem alltäglichen Pendelpogo gibt es auf den Strassen der Stadt wieder etwas Raum.

Bisherige Shots From the Road findest du hier.

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