Shots no. 18: Von Feinden und Helden
Dominik Mösching - Zwischen Weihnachten und Neujahr in Argentinien: Das Feiertagsfernsehen flimmert mit der Luft über den aufgeheizten Strassen um die Wette.
Und so können die argentinischen Medien ihre Altjahrswoche mit einem angenehmen, weil unaufwändig zu recherchierenden Thema bestreiten: Dem Wetter. In bester CNN-Manier schreit uns canal trece den Slogan DIE HITZE. UNSER FEIND entgegen. Dazu flimmern in der Endlosschlaufe Bilder über den Äther, die ich nicht vollständig den aufgeregten Grossbuchstaben zuordnen kann. Leichtbekleidete Chicas baden in einem Brunnen, ein junggebliebener Altmacho mit ultrahässlicher Sonnenbrille gibt ein Statement von sich, ein Bus fährt vorbei, Menschen betreten ein Einkaufszentrum, ein Korrespondent mit zu warmem Outfit steht im Park. Kurz sind die wiederholten Stromausfälle in der Stadt ein Thema, die an Heiligabend zu Demonstrationen erzürnter Weihnachtsbratenkäufer geführt hatten, weil ohne laufenden Kühlschrank der Familienschmaus vom 25. auszufallen drohte. Danach bestimmt wieder UNSER FEIND das Bild.
Schliesslich wechselt das Programm, und der Moderator kündigt das angenehme, weil vorrecherchierte Thema 2010 an. Emotionaler Höhepunkt des Jahres sowie der Sendung ist der Tod des Ex-Präsidenten Néstor Kirchner Ende Oktober. Wir sehen noch einmal die versammelten Staatschefs Lateinamerikas, die Kirchners Frau, Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, ihr Mitgefühl aussprechen. Wir sehen traurige Menschen in der Warteschlange zum letzten Geleit, und da sehen wir auch noch einmal den Herrn, der mit seinem spontanen Ave Maria alle zu Tränen rührte. Inklusive der anwesenden Politiker natürlich. Ich erinnere mich an einen damaligen Kommentar in einer chilenischen Zeitung. Der Tod sei in Lateinamerika wie kaum woanders ein politischer Faktor. Er sorge für eine Einheit (der trauernden Lebenden) und eine Gleichheit (von Mächtigen und Ohnmächtigen), die auf diesem Kontinent schon immer eher Sehnsucht als Realität gewesen seien. Gleichzeitig konstruiere er die mythischen Helden, die dieser Kontinent so möge. Unschärfen verschwinden, Kritik verblasst, und übrig bleiben die Säulenheiligen eines Kollektivismus, der die Politik dominiert. Sei er nun katholisch, nationalistisch, marxistisch oder indigen-gemeinschaftlich inspiriert.
Geht es nach Cristina, hängt Néstor schon bald neben Bolívar, Perón und Guevara in der Galerie der lateinamerikanischen Patrioten in ihrem Regierungssitz. Doch das ist dann ein Thema für nächstes Jahr.
Der Friedhof der Mächtigen in Recoleta will gepflegt werden. Auch bei sechsunddreissig Grad.
Warten auf längere Schatten.
Jahresende in Buenos Aires: Heisslaufende Klimaanlagen und Statue.
Wer steigt als Nächstes in die Säulenhalle der lateinamerikanischen Helden auf?
Bisherige Shots From the Road findest du hier.