Sophie Heldman im Interview
Christina Ruloff - Satte Farben vor Schwarz ist der erste Film der Schweizer Regisseurin Sophie Heldman - er läuft im Lunchkino und ab 13. Januar in den Kinos. Students.ch hat sie getroffen und mit ihr über's Filmemachen, über Bruno Ganz und natürlich über ihren Film gesprochen.Students.ch: Is...
Students.ch: Ist es wahr, dass dein Film „Satte Farben vor Schwarz“ auf einer wahren Begebenheit basiert?
Sophie Heldman: Ja, das ist richtig. Der Film erzählt die Geschichte meiner Nachbarn – Ich bin in Zug aufgewachsen und die beiden waren ein Liebespaar seitdem sie 18 Jahre alt waren. Als ich selber 18 wurde dachte ich: Das ist die erste Liebe – mit jeder Person, die ich jetzt kennenlerne, könnte auch ich ein Leben lang zusammen sein. Wie diese beiden, die damals schon 50 waren. Man konnte ihre Liebe füreinander spüren. Sie hörten einander zu, waren aneinander interessiert und hatten viel Spass zusammen. Ich konnte mit meinen Nachbarn auch über alle möglichen Dinge reden, über Sexualität und Monogamie – Sie fanden es ganz natürlich, dass man sich auch mal in jemand anderen verliebt, wenn man solange zusammen ist.
Dein Film thematisiert den Umgang mit dem Alter. Wie stellten sich deine Nachbarn das Altwerden vor?
Diese beiden Menschen konnten sich nicht vorstellen, ohne den anderen zu leben. „Wir haben alles zusammen erlebt. Wir wollen auch nicht ins Altersheim. Wir sind selbstbestimmend und wollen nicht unseren Kindern zur Last fallen.“ Es war für sie immer klar, dass sie, wenn es mal soweit ist, den Freitod wählen. Freitod ist – finde ich – das passende Wort: Man wählt bewusst. Sie sagten: „Wir haben ein gutes Leben gehabt, wir haben uns etwas aufbauen können und dann kann man auch mal sagen: Es war gut, jetzt ist Schluss.“ Das fand ich interessant.
Üblicherweise gibt es da immer einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis...
Ja, das stimmt. Das Spannende und Besondere an ihrer Geschichte ist, dass die beiden tatsächlich nach ihrer Einstellung gehandelt haben. Er war an Krebs erkrankt und dann haben sie ihre Beziehung hinterfragt. Wer sind wir? Was wollen wir noch vom Leben? Haben wir das richtige Leben geführt? Was würden wir noch gerne tun oder nachholen? Dann kamen nochmals die existentiellen Fragen an das Leben – und das waren interessanterweise genau die Fragen, die ich mir auch gestellt habe. Nur dass ich noch am Anfang stand und die beiden am Ende. Wir orientierten uns, mit jeweils anderen Voraussetzungen und Konsequenzen. Und bevor sich ihr Leben in etwas verwandelte, was ihnen nicht mehr entsprach, wählten sie den Freitod. Das war im Januar vor zehn Jahren.
"Freitod ist – finde ich – das passende Wort: Man wählt bewusst." (Sophie Heldman)
Warum hast du aus dieser persönlichen Geschichte einen Film gemacht?
Ich war damals an der Filmschule in Berlin und habe die Geschichte meinen Kommilitonen erzählt. Plötzlich haben wir an Parties den ganzen Abend nur darüber geredet. Das Ganze hat mich dann nicht mehr losgelassen. Diese grossen Fragen zum Leben fand ich wahnsinnig spannend und da wusste ich: Darüber will ich meinen Abschlussfilm machen. Mein damaliger Rektor Reinhard Hauff fand dieses Thema auch grossartig, weil er viele Paare kannte, die sich über genau diese Problematik Gedanken machen, sich aber nicht trauen, den Freitod zu wählen. Ich habe zu schreiben begonnen und zu recherchieren. Denn man kann ja nur über etwas schreiben, das man kennt.
Wie fallen die Reaktionen von Menschen aus dieser Generation auf deinen Film aus?
Menschen, die kein moralisches Problem mit dem Freitod haben und aus dieser Generation stammen, sind berührt. Sie erwarten es nicht, dass sich jemand an diese Fragen so authentisch annähert.. und sich für sie interessiert. Diese Menschen reagieren sehr emotional, weil sie vieles kennen und selber erlebt haben. Ich habe ja auch wenig erfunden, sondern vieles selber beobachtet, bei meinen Eltern und ihren Freunden beispielsweise. Es geht ja um die Generation, die sich selbst verwirklichen konnte – und diese wird mit dem Alter ganz anders umgehen. Von der Idee 2001 bis zum Film 2011 sind 10 Jahre vergangen... warum dauert es so lange einen Film zu machen?
Ich habe ein Jahr lang recherchiert, und weitere zwei Jahre am Drehbuch geschrieben. Danach hat die Zusammenarbeit mit zwei deutschen Fernsehanstalten – WDR und ARTE – begonnen und das braucht Zeit. Dreiviertel Jahre habe ich allein auf einen Termin beim Fernsehen gewartet, um das OK zum Film zu kriegen. Die Finanzierung auf die Beine zu stellen, dauerte nochmals zwei Jahre. Acht Jahre gehen ganz schnell vorbei. Dass ein Film in zwei Nächten geschrieben und ruck zuck für 10'000 Franken gedreht wird, ist ein Mythos. Besonders schwierig ist es, wenn du einen Film machen willst, der etwas wagt und nicht einfach die gängigen, erprobten Bilder reproduziert.
"Bruno Ganz und Senta Berger machen den Film, weil sie im Drehbuch etwas für sich gefunden haben, was sie umsetzen wollten." (Sophie Heldman)
Bruno Ganz und Senta Berger sind zwei vielbeschäftigte Schauspieler – wie hast du die beiden für dein Projekt gewinnen können?
Als der Schreibprozess abgeschlossen war, habe ich mich gefragt, wer die beiden Charaktere – Anita und Fred – werden kann. Ich habe beim Schreiben eine intime Beziehung zu den beiden Figuren entwickelt und mich entsprechend für diese beiden Schauspieler entschieden – weil sie passen. Schlussendlich ist es eine Bauchentscheidung. Mein Film ist ein Lowbudgetfilm; Bruno Ganz und Senta Berger machen keinen Film, wenn sie das Gefühl haben, nur aus Prestigegründen gewählt zu werden. Die machen den Film, weil sie im Drehbuch etwas für sich gefunden haben, was sie umsetzen wollten.
Als das Geld und Schauspieler endlich da waren... wie war der Dreh?
Das war die schönste Zeit überhaupt. Wir hatten grossartige Voraussetzungen, wir konnten chronologisch drehen, was wichtig für die Geschichte ist. Das Haus, indem wir gedreht haben, war toll und wir hatten die Zeit und Ruhe uns kennenzulernen und Details herauszuarbeiten. Der Film verändert sich ja auch mit all den Leuten, die mitarbeiten – es entstehen neue Ideen. Und ich als Regisseurin kam dann während des Drehs in einen Zustand der Hingabe. Man löst sich im Film auf, man ist und lebt für den Film.
Bist Du zufrieden mit dem Endresultat?
Ja. Ich habe viele Jahre als Regieassistentin Erfahrung gesammelt und viel gelernt. Ich bereite daher den Dreh so gut wie möglich vor, wähle das Team sorgfältig und hatte das Glück, dass sich Menschen gefunden haben, die sich wirklich für die Geschichte eingesetzt haben. Unter solchen Vorraussetzungen kann man springen. Ich weiss, ich habe alles gegeben und das lässt mich ruhig schlafen. Das heisst nicht, dass ich jetzt nicht schon Dinge sehe, die ich heute wahrscheinlich anders machen würde – aber man entwickelt sich ja auch weiter.
Sophie Heldman wurde 1973 in Hamburg geboren und ist als Tochter einer Mexikanerin und eines Deutschen in der Schweiz aufgewachsen. Nach Abschluss des Gymnasiums lebt sie von 1993 bis 1996 in den USA und sammelt auf amerikanischen Independent Spielfilmproduktionen in New York und South Carolina erste Erfahrungen beim Film. 1996 beginnt sie Regie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin zu studieren. Zusätzlich besucht sie Meisterklassen in Schauspielführung an der Tisch School of the Arts, NYU in New York. Neben ihrem Studium arbeitet Sophie Heldman unter anderem als Regieassistentin für die Oscarpreisträger Sydney Pollack und Xavier Koller, sowie für die RegisseurInnen Stina Werenfels und Daniel Schmid.
Ihr Kurzfilm „Icke“ wurde beim Film Festival Max-Ophüls-Preis für den Besten Kurzfilm nominiert und ist erfolgreich auf internationalen Filmfestivals gelaufen.
„Satte Farben vor Schwarz“ mit Senta Berger und Bruno Ganz in den Hauptrollen ist ihr Kinodebüt. Sophie Heldman lebt und arbeitet in Berlin.
Die Rezension zu Satte Farben vor Schwarz findet sich hier!