Shots no. 32: North America revisited
Dominik Mösching - „Who cares about the rest?“ Die Postkarte im texanischen Stop-Over-Flughafen Dallas empfing mich herzlich auf der Nordhalbkugel. Ein paar Tage später – nach Visiten in den temporären Subtropenstädten New York und Washington – war ich in Montréal. Hier hatte alles angefangen, vor einem Jahr.
Letzten August sass ich in derselben Bar vor einem Pint des gleichen Biers. Die Stadt döste in der Nachmittagshitze vor sich hin und erholte sich von einer der zahllosen Festivalnächte, die den Montréaler Sommer so aufregend machen. Bis auf den gebuchten Sprachkurs dreizehn Wochen später auf der anderen Seite des Globus, in Buenos Aires, hatte ich keine Einträge in meiner Agenda und nicht die geringste Absicht, dies zu ändern.
Zwölf Monate danach habe ich den Kontinent, der damals einer blanken Entdeckerkarte gleich vor mir lag, mit vielen Linien, Punkten und Kreuzchen ausgefüllt. Farben hinzugegeben. Fotos und Fresszettelchen angepinnt. Nach und nach entstand so aus dreihundertfünfundsechzig Tagen voller Details ein grosses Bild. Noch schaffe ich es nicht, genügend herauszuzoomen, um das Bild als Ganzes anschauen zu können. Aber das berühmte Revue-passieren-lassen ist natürlich in vollem Gang.
Zufällig war ich letzte Woche in Washington auf einem Symposium über Amerindians und den Klimawandel gelandet – ich war auf der Flucht vor der Vierzig-Grad-Hitze, die die Ostküste im Griff hatte – wo der Soziologie Jeremy Rifkin auftrat. Er attestierte seiner eigenen US-amerikanischen Kultur, dass sie zwar schlecht sei im Zuhören (und damit auch im Ernst nehmen anderer), aber unschlagbar im Erzählen. Er hat recht. Eine Diskussion besteht hier nicht selten aus einer lautstarken Aneinanderreihung von (Glaubens-)Sätzen, die in ihrer frechen Eingängigkeit fast immer auch auf Werbeplakaten stehen könnten. Und Pathos und Ironie/Zynismus so gekonnt kombinieren wie kaum irgendwo sonst.
Der eingangs erwähnte Postkartenspruch erinnerte mich an einen Pick-Up in Oregon, der seine panzerartige Erscheinung bedrohend mit einem Aufkleber untermalte: „Give me back my gun, my money and my freedom. Keep the change.” In der New Yorker Metro diskutierten zwei Ostküstenliberale über die Republikaner. Einer bemerkte im lauten Brustton eines TV-Werbesprechers: „You know, if you don’t like gay marriage, just don’t get gay married. Where's the problem?“ Aber auch die Kanadier, obwohl die zurückhaltenderen Naturen, können reden. Mit einem Herrn aus Winnipeg, den ich in seiner Wahlheimat Vancouver antraf, äzte ich ein wenig über die Langweile seiner Heimatstadt. Er lächelte. „True. Winnipeg is a good place to be – from.”
Und während ich in den temporären Subtropen meinem Rückflug nach Europa entgegenschwitze, erinnere ich mich an einen Spruch im letzten Sommer, der das Baustellenwuchern aufs Korn nahm: „Canada has got two seasons. Winter and construction.” Ich entscheide mich, für den Flughafentransfer genügend Zeit einzuplanen, damit ich nicht auf den letzten Metern noch Probleme bekomme. Etwas später bin ich viel zu früh am Gate, beginne zu schreiben und realisiere plötzlich, dass dies der letzte Blog auf dem amerikanischen Kontinent sein wird. Müsste da nicht noch ein bisschen mehr Pathos rein? Oder mehr Schnittigkeit?
Ach, die Amis und Canadiens können das sowieso viel besser. Und die Lateinamerikaner mit ihrem wunderbaren Idiom sowieso. Ich habe einfach zugehört und zugeschaut. Im Osten, Westen, Norden und Süden. Bevor ich laut zu reden beginne, muss ich noch ein wenig herauszoomen. Sozialisiert in der Schweiz, you know.
Schweiz. Das Boarding beginnt. Pünktlich, what else.
- Kurs auf Nordamerika.
- Basketball in New York.
- George Washington beobachtet die Wall Street. Was würde er uns erzählen?
Bisherige Shots From the Road findest du hier.