Das Imperium schlägt zurück
Marco Büsch - Wenn man in der Nähe einer Tramhaltestelle wohnt, welche zwischen der Drogenabgabestelle und dem Arbeitsamt liegt, hat man als Kolumnist ausgesorgt. Da wird getrunken, geschimpft, beleidigt und diskutiert über Gott und die Welt. Ein kleiner Ausschnitt aus dem ganz normalen Wahnsinn.
Ich wartete auf mein Tram neben einer Bank, auf der zwei Alk... ich meine natürlich, auf der zwei Personen sassen, mit denen es das Leben nicht allzu gut gemeint hat. Sie hatten Migros-Säcke voller Kleider vor sich hingestellt und diskutierten darüber, dass irgendjemand ein „ganz Guter“ sei. Das Tram rollte heran und machte schrille Geräusche, weil der eine Alk.., ich meine die eine Person vor lauter Freude fast vor’s Tram getorkelt wäre. Wir stiegen alle ein und das Gespräch über diesen „wirklich ausserordentlich guten Menschen“ wurde fortgesetzt. Bis das Handy des einen klingelte und er den Anruf – ohne Vorwarnung! – entgegennahm. Der andere schaute ihn fassungslos an darob, dass jemand die Diskussion mit IHM einfach unterbrechen konnte, um mit einer Person zu sprechen, die physisch nicht einmal anwesend war. Demonstrativ schrie er durch das ganze Tram: „Also Ciao! Dänn gang ich halt!“ An der nächsten Haltestelle packte er seine Migros-Säcke und stampfte ohne den anderen eines Blickes zu würdigen aus dem Tram mit den Worten „Jetzt hol ich mir en Kebab und zwei Bier!“
Ich war hell begeistert: Dieser Mann hat getan, was ich immer schon einmal tun wollte! Es gibt doch nichts Unhöflicheres als mitten in einem spannenden Gespräch einen Anruf entgegen zu nehmen und dann minutenlang mit der Person am anderen Ende der Leitung über unwichtige Dinge zu plaudern, während jemand gegenüber sitzt, der sich dadurch saumässig blöd vorkommt. Wie bestellt und nicht abgeholt. Vor allem wenn man nicht raucht. Was soll man in so einer Situation tun? Man läuft eben leider nicht davon, man sagt nicht einmal etwas. Denn man ist ja verständnisvoll. Man steht da drüber. Man muss es ja nicht gleich persönlich nehmen. So ist halt unser Handy-Smartphone-Facebook-Twitter-Zeitalter. Wer nimmt sich schon Zeit für sein Gegenüber, wenn man auch jederzeit mit jemand anderem reden könnte. Und dann macht diese Person, was wir alle schon immer mal machen wollten, aber uns nie getrauten, weil es gegen jede Konvention verstösst: Er läuft einfach davon. Was für ein Befreiungsschlag! Ich war begeistert! Ich habe mir fest vorgenommen, dies bei der nächsten Gelegenheit auch zu tun: Egal ob im Hörsaal, bei der Arbeit, im Restaurant oder im Krankenhaus: Einfach davonlaufen. Das Imperium schlägt zurück!
Frau Freitag hat sich mit einem ähnlichen Thema befasst (ja, leider ein unsinnig langer Link) : http://www.fragfraufreitag.ch/sali-kafi-was-haltest-du-von-leuten-die-sich-nicht-einander-vorstellen-mein-freund-ist-so-einer-wenn-wir-im-ausgang-sind-dann-stehe-ich-immer-daneben-und-er-redet-mit-freunden-ich-wohne-noch-nic/