Das ist ein Konzert und kein Fotokurs!
Marco Büsch - Eine Kolumne, die sich mit der grundlegenden Frage beschäftigt, ob es für gewisse Individuen nicht doch möglich sein könnte, ein Konzert zu geniessen, ohne dass sie dabei jede Bewegung der Band mit dem iPhone aufnehmen müssen. Vor allem nicht genau vor mir!
Ich besuche nun schon seit längerer Zeit Konzerte, grosse, kleine, indoor, outdoor, Punk, Hip-Hop, Indie, Electro, junge Leute, ältere Leute, viele Männer, viele Frauen, und in all diesen Konzerten hat sich in den letzten Jahren eine Konstante gebildet: Irgendwann steht irgendwie immer jemand genau vor mir und fotografiert oder filmt das ganze Konzert mit seinem iPhone/Handy oder Digicam. Früher freute ich mich immer, dass ich mit meinen 190cm über alle hinweg sehen konnte und ärgerte mich dann, wenn der einzige 200cm-Riese am ganzen Konzert genau vor mich hin stand. Aber heute ist es anders: Heute sind es nicht mehr die Riesen, die mich nerven, heute sind es die Leute, welche dauernd irgendeine Kamera vor mein Gesicht halten, um ein Teil des Konzerts für die Nachwelt festzuhalten.
So ein Video oder so ein Foto bringt doch nichts. Ich sehe andauernd irgendwelche verwackelten Aufnahmen auf Youtube und frage mich, was die Ersteller damit bezwecken wollten. Mich packt es ja schon nicht bei Live-DVD‘s, mögen sie noch so professionell und gut produziert sein, deswegen besuche ich ja Live-Konzerte. Um den Moment zu erleben, nicht um ihn danach nach Hause zu nehmen und so lange zu betrachten, bis auch der letzte Glanz verschwunden ist. Aber jedem das seine. Mich stört eigentlich nur, wenn ich eine Wand von Kameras/iPhones vor meinem Gesicht habe und mich kaum mehr das Konzert geniessen kann.
Aber mir scheint es ohnehin, dass für viele die Konzerte keine Konzerte mehr sind, sondern Events. Und ein Event muss fotografiert/gefilmt werden, ich muss lange vorher auf Facebook ankündigen, dass ich dort hin gehe, vor Ort muss ich nochmals eine Statusnachricht schreiben, am Besten mit einem Foto als Beweis und danach stelle ich noch meine Videos und meine hundertfünfzig Fotos online, damit jeder begriffen hat, dass ich dort war und dass ich wirklich ein Fan bin, aber so richtig. Aber mit Verlaub, dass ist doch keine Fankultur mehr, das ist einfach kindlich. Und es ist nicht mal nur so ein Hipster-Ding, diese Art ein Konzert zu besuchen ist mittlerweile im Mainstream angekommen und absolut salonfähig geworden, grauenhaft!
Und wenn mir jetzt jemand sagen will, es gehe hier darum, Erinnerungen zu konservieren: Welche Erinnerungen?! Die, bei denen du die Kamera hochgehalten hast, während du versucht hast ein möglich gutes Bild hinzubekommen. Und dann war dein Lieblingssong auch schon um. Ohne dass du ein einziges Mal hineingetaucht bist, um es etwas pathetisch zu formulieren. Aber wahrscheinlich hat der geneigte Kamerahochhalter gar keinen Lieblingssong, weil er nur am Konzert ist, weil er Tickets gewonnen hat/alle an dieses Konzert wollten/im 20min davon berichtet wurde.
Vielleicht bin ich ja der Letzte, den so etwas aufregt, sozusagen der letzte Mohikaner. Und nicht, dass man mich falsch versteht, ich habe im Allgemeinen nichts gegen das Filmen und Fotografieren, auf dem Tahrir-Platz zum Beispiel hat sowas sicher seine Berechtigung. Ich habe noch nicht einmal etwas gegen drei, vier gelegentliche Fotos. Ich habe nur etwas gegen die Leute, die meinen sind müssten mir 90 Minuten ihre Kamera vor das Gesicht halten. Bei denen muss ich es leider ganz nach Schweizer Mentalität erledigen: Ich sage nichts, ich drücke nur ganz sanft, aber bestimmt meinen Ellbogen in ihren Rücken, solange bis sie den Platz wechseln. Konfliktlösung auf höchstem Niveau.
erinnerungen kann man nicht auf bildern konservieren, die besten trägt man meiner meinung nach im herzen...
Und dann sind diese Displays immer noch so hell!