Buchbasel – so viel Basel war noch nie
Annekatrin Kaps - Wer die Wahl hat, hat bekanntlich die Qual. Hunderte von Büchern und exotische Orte lockten Lesehungrige jeglichen Alters trotz strömenden Regens zur Buchbasel. Doch wo anfangen?
Im zweiten Text, einem Essay über die Fotografie macht er sich Gedanken über sein Leben und sinniert über das fotografische Handwerk: „Ein Fotograf ist einer jener Windbeutel, die ihre Existenz nicht deshalb geniessen, weil sie ihnen etwas einbringt.“ Matthias Haldemann, der Direktor des Kunsthauses Zug, wo der ungarische Autor zurzeit als Schriftsteller und mit seinen Fotografien gezeigt wird, wies auch auf die frühe ungarische Malerei hin, die Nádas selbst kuratierte. Der Verleger des Nimbus Verlages, Bernhardt Echte, bezweifelte zwar anfangs die Realisierbarkeit des Projektes, zeigte sich dafür jetzt begeistert.
Um vierzehn Uhr bin ich wieder im Literaturhaus, denn jetzt läuft die Shortlist und ich will Alain Claude Sulzer nicht verpassen. Der für den Schweizerischen Buchpreis nominierte Basler liest aus „Aus den Fugen“ (vergleiche auch „Diner Littéraire – eine kulinarische und literarische Offenbarung“ hier auf www. students.ch). Den das passiert in diesem Buch einigen Leuten, nachdem der berühmte Marek Ohlsberg unvermittelt im Konzert der Berliner Philharmonie und noch schlimmer: Mitten im Stück mit den Worten „Das wars!“ abbricht. Was Sophie, welche mit ihrer ungeliebten Nichte zuhört, glatt verschläft. Ein Leihkellner dagegen entwickelt im Hause einer Arztgattin unerwartete kriminelle Energie. Wer sonst noch aus den Fugen gerät, ist amüsant geschildert.
Der Schriftsteller mit der eleganten und dennoch schnörkellosen Sprache verneinte jegliche Nervosität wegen des Buchpreises. Dann versuchte er die Fragen zu den Kritiken zu beantworten. Die TAZ (eine linke Berliner Tageszeitung) bemängelte beispielsweise, dass ihm Roman zu wenig S- und U-Bahn gefahren wird, was Sulzer mit den Worten „Es gibt noch mehr Bücher in denen nicht S- und U-Bahn gefahren wird.“ Konterte. Aber eigentlich geht es ihm um die Frage des Was-wäre-wenn? Und nicht um einzeln kritisierte Sätze, welche ihm auch einmal ein „Was soll ich dazu sagen? Ich kann halt nicht anders schreiben und will auch nicht anders schreiben.“ abringen. Ein Mann, ein Wort.
Exotisches Grün, ein üppiger Dschungel und fallende Wassertropfen empfangen mich im Victoriahaus des Botanischen Gartens in Basel. Durch das Glasdach fällt grauer Himmel, später trommeln Regenschauer dagegen. Innen wird mir warm und wärmer, was nicht nur an den Liebesgedichten liegt, die Doris Wolters sanft, lakonisch oder leidenschaftlich liest, von Chopin oder Jazz stimmungsvoll untermalt. „Wie soll ich meine Seele halten, dass sie nicht an Deine rührt“ fragt sie mit Rilke, springt von Eichendorff zu Brecht, weiter zu Hofmannsthal und Robert Gernhardt, verweilt bei Mascha Kaleko. Mit Tucholsky rekonstruiert sie in „Na und denn“ ein Eheleben nach dem Happyend: „Die Ehe war zum grössten teil verbrühte Milch und Langweile.“ Viele bekannte Klassiker, welche man immer wieder gern hört, waren zu entdecken, aber auch unbekanntere Namen. Ein wunderbares Hörvergnügen!
Bunt wird es im Museum der Kulturen, tamilische Jungen, coole Teenager mit Kapuzenshirts, Girlies, ältere Frauen aus dem Balkan, ein Farbiger, und auch unauffälligere Menschen, die wie Schweizer aussehen, aber keine sind, habe sich versammelt. Beantworten geduldig die Fragen eines verklemmten, Pfeife rauchenden Akademikers. „Was ist für Sie Heimat? Was lieben Sie an ihr besonders? Welche Speisen essen Sie aus Heimweh? „Schoggi!“ rufen die Kinder.
Doch bald sind alle entnervt von den Fragen, entwerfen ihre eigenen, immer noch zum Thema „Wie viel Heimat brauchen Sie? Die Jungs fangen an zu rappen, auf Albanisch oder Serbisch, doch den Refrain singen alle schwyzerdütsch: „Fremd in dr Schwyz, jeder hat syni Sicht, dahei in dr Schwyz! hinreissend und aufwühlend. Eine perfekte polyglotte Sprachperformance!
Entspannt dagegen wird’s im Yogastudio bei yoga shänti. Ich steige Treppen am Kohenberg und lande in einem mit gelbem Licht beleuchteten Raum. Die einfachen Holzbänke sind gut gefüllt, die runden Sitzkissen auf den blauen Yogamatten noch fast frei. An der Wand sitzen Milena Moser und ihre amerikanische Yogalehrerin Katchie Ananda. Montagsmenschen sind keine Sonntagskinder erfahren wir in Milena Mosers neuem Buch, welches schlicht „Montagsmenschen“ heisst.
Darin halten noch drei Schüler der Yogalehrerin Nevada die treue, nachdem sie an Multipler Sklerose erkrankt ist. Eine der Schülerinnen, Poppy, nimmt sogar einen Mord auf sich. Ted dagegen ist ein von seiner Frau entsorgter Familienvater, „Prinzessinnenjunkie“ nennt sein Freund Tobias ihn. Auf welchen verschlungenen Wegen er zum Happy End findet (dass es eines gibt, hat die Autorin fest versprochen) wurde nicht verraten. In kleineren Tranchen las die Autorin sehr treffende oder amüsante Passagen, unterhielt sich dazwischen mit Ananda und wartete auf Fragen, welche erst zum Schluss kamen. So stellte sie selber welche a là „Sind Yogalehrer die besseren Menschen?“ was meine Geduld doch etwas arg strapazierte. Eine eigene Moderatorin hätte dieser ansonsten interessanten Lesung noch faszinierendere Dinge abgewinnen können.
Natürlich hätte es noch mehr gegeben, die Basler Kriminacht beispielsweise in der Galerie Beyeler oder die Mammut-Lesung von Navid Kermani freitags im Barockzimmer des Museums der Kulturen. Allein ich brauchte Labsal und fand sie im Literaturhaus im Café, wo sich noch viele nach Leseschluss um zehn einfanden. Du vermisst trotzdem Beiträge? Dann schreib einen Kommentar und lass es uns alle wissen!