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29. Juni 2007, 00:00 Konzert

Review: Patti Smith @ X-tra

Christina Ruloff - Die Prophetin und ihre Jünger: Patti Smith gibt vor einem verträumten Publikum ein unvergessliches Konzert, das keine Wünsche übrig lässt. Eine Minute vor der angekündigten Zeit für den Konzertbeginn, um 21.14, betritt Patti Smith mit ihrer Band die Bühne vom X-tra, das r...

Die Prophetin und ihre Jünger: Patti Smith gibt vor einem verträumten Publikum ein unvergessliches Konzert, das keine Wünsche übrig lässt.

Eine Minute vor der angekündigten Zeit für den Konzertbeginn, um 21.14, betritt Patti Smith mit ihrer Band die Bühne vom X-tra, das rappelvoll mit enthusiastischen Fans aller Alterklassen, von Kindern bis Altachtunsechziger, ist. Das Publikum ist bunt durchmischt, junge Hippies und Weltverbesserer in gesunden Sandalen drängen sich neben ernsthaften Mittdreissigern in schwarzen Pullovern und abgelebten und missgelaunten, leicht ergrauten Fünfzigjährigen. Alle sie vereint eine Neigung zur Bohème, etwas undefinierbar Freigeistiges, das sich in kritischen Blicken und vielen Zigaretten ausdrückt... und die ungeteilte und echte Liebe zu Patti Smith. Als diese dann viel früher als erwartet die Bühne betritt, sind binnen Sekunden Ärger und Missmut von allen Gesichtern verschwunden und respektvolle Vorfreude und allgemeines Glück herrscht vor.

Patti Smith sieht so aus, wie man sich Patti Smith vorstellt. Sie trägt enge Jeans, die sie sich hochgekrempelt hat, so dass ihre schwarzen Stiefel hervor schauen, ein weites, ziemlich abgetragenes, weisses T-Shirt auf dem unscharf die Umrisse eines Peace-Zeichens zu erkennen sind, und darüber ein schlabberiges, schwarzes Jackett, das sie in Kürze ausgezogen haben wird. Das Publikum klatscht begeistert, zu Recht, denn alleine die Tatsache, dass sie überpünktlich erschienen ist, macht sie ungeheuer sympathisch und zeugt vor allem vor Respekt und Achtung vor ihrem Publikum, dem sie den ganzen Abend einfach alles geben wird.

Der erste Song geht anscheinend irgendwie unter und ist schief und Smith entschuldigt sich dafür. Dann legt sie aber mit einem entspannten Redondo Beach los, gefolgt von dem begeisternden Space Monkey, das die Leute in den ersten Reihen wild hopsen und frenetisch applaudieren lässt.

Hier zeigen sich zum ersten Mal die grossen Qualitäten, die Patti Smith zu einer grossen Künstlerin unserer Zeit und vor allem zu einer unvergleichlichen Live-Ikone machen: Sie verausgabt sich total, gibt sich in die Lieder hinein, lebt den Moment und lebt den Moment des Liedes, das Wort, das Gefühl. Breitbeinig steht sie da, wirft zum Leidwesen des Bühnenarbeiters unendlich oft den Mikrophonständer um, stampft, ballt Fäuste, gestikuliert und ist vor allem. Und ihre Stimme! Sie hebt und senkt sie, je nach Worten und gibt allem eine totale Dringlichkeit, eine Intensität, die die ganze Halle und die Köpfe der Zuschauer durchströmt. Man könnte ihr stundenlang zusehen und man muss ihr vor allem zuhören.

Richtig, bei den allermeisten anderen Künstlern würden ihre Sprüche über den Krieg und den Weltfrieden, diese Totalität und dieses Prophetenhafte, lächerlich, ja unerhört wirken. Aber bei Smith ist die Erschütterung genuin, die Betroffenheit über die Welt und das Leben real. Die Prophetin hat denn auch eine Halle voller bedingungsloser Jünger vor sich, die ihr bis ans Ende der Welt folgen würden und ihr alles durchgehen lassen. Als die ersten Noten von Summer Cannibals ertönen – „ I was down in Georgia / nothing was as real“ – halten sich ergraute fünfzigjährige Männer verträumt an ihrem Glimmstängel und schauen Smith auf eine Art und Weise anschauen, wie sie wohl kaum jemanden sonst ansehen.

Das Konzert ist plötzlich laut und punkig wild geworden. Ein Teil der Songs - ein hymnisches Are You Experienced, Soul Kitchen, White Rabbit mit einer irren Anekdote über Potatoes in Zürich und natürlich jubilierend Smells Like Teen Spirit) stammt von ihrem Cover-Album Twelve; der Rest der Lieder sind gute alte Freunde wie Gloria oder Publikumslieblinge wie Because The Night aus Smith' über dreissigjährigem Schaffen. Mit dem wunderschönen Lou Reed-Cover Perfect Day und ein paar herzlichen, ehrlichen Danksagungen beginnen die Zugaben eines Konzertes das keine Wünsche offen liess.

Patti Smith im X-tra in Zürich war ein ganz und gar eindrückliches und unvergessliches Erlebnis.

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