Erwachende Welt
24.12.2013 à 15:16
Glitzernde Tropfen spazieren über die satt grünen Palmenblätter. Ein noch angenehm frischer Wind lässt diese tanzen an den mächtigen, bis zu 9 Meter hohen Stämmen. Fruchtig süsse Düfte strömen gemeinsam mit der salzigen Brise durch die Luft. Die Vielfalt der Geräusche aus dem tropischen Tierreich wird von Minute zu Minute grösser. Ein wahres Orchester. Auf meiner Bambusmatte liegend greife ich zum Deckel meiner alten Truhe um sie zu öffnen. Darin habe ich diverse Schreibutensilien, Papier und leere Bücher verstaut. Ich schreibe aber nur kurz die Stimmung nach meinem gesunden Schlaf und den einen oder anderen Traum auf. Nach einem erfrischenden Bad im Ozean mache ich mich auf um Früchte zu sammeln. Die Sonne brennt bereits wie Feuer vom Himmel, so dass ich den schattigen Streifzug durch den Wald sehr geniesse. Mit reichlich gefülltem Korb kehre ich in meine Behausung zurück, trinke frische Kokosmilch und esse dazu zwei Bananen. Der Stand der Sonne zeigt mir dass es an der Zeit ist mich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Noch schnell drei, vier Dinge eingepackt ziehe ich los. Es liegen nun ca. 20 Kilometer Fussmarsch vor mir bis zur Silahu-Bay. Im Camp angekommen begrüsse ich all die liebenswürdigen Menschen die meinen Weg kreuzen. Eine nette und äusserst humorvolle alte Dame schenkt mir, nahe bei meinem Atelier, einen Strauss wundervoller Lotosblumen. Sie sei die Dorfälteste und wünsche mir das Glück der Welt. "Danke!" An diesem herrlichen Tag, in meinem kleinen Reich angekommen, setze ich mich schnell auf meinen selbst gebastelten Stuhl um noch eine Tasse köstlichen Wurzeltee zu trinken. Vertieft in meine Arbeiten für einige, genauer gesagt, fünf geduldig wartende Kunden, lasse ich die Zeit an mir vorbei ziehen. Derzeit mal ich noch auf einer 3 mal 6 Meter Leinwand eine Kerze. Der Wunsch einer jungen französischen Studentin aus dem benachbarten Dorf. Ein mächtiges Bild an welchem ich bestimmt noch einige Stunden zu arbeiten habe. Ein Klopfen an der Tür welches ich erst etwas späht wahrnehme, zwingt mich zu einem Unterbruch. Ich öffne die Tür, doch niemand steht davor. Okay, denke ich, wohl möglich ein ungeduldiger oder gestresster Mensch. Kaum habe ich mich von der wieder geschlossenen Tür entfernt, klopft es erneut. Grinsend wende ich wieder, drücke die Klinke. Nun steht ein winziger Junge da, strahlt mich mit riesigen Augen an, wortlos. Ich knie mich auf seine Höhe runter. "Hi kleiner Mann, wie geht es dir?" Er bleibt stumm, nickt jedoch mit dem Kopf und lächelt. Ich frage mich still ob er wohl noch gar nicht sprechen gelernt hat. Denn er scheint nicht älter als vier Jahre. Auf dieser Insel gibt es viele Menschen, welche ihr Leben lang nur mit der Zeichensprache kommunizieren. Also keinerlei herkömmliche Schulbildung haben. Mit einem zweiten Versuch frage ich ihn: "Wie heisst du?" Dann seine Antwort: "Elios!" Etwas überrascht frage ich: "Hallo Elios, was kann ich für dich tun?" - "Mit mir spielen kommen." Hm, als hätte ich es nicht geahnt dass diese Antwort folgt. "Ja, was willst du denn gerne spielen?" - "Die weisse Cobra jagen und töten!" - "Wer hat dir von der weissen Cobra erzählt?" - "Mama!" Seit bestand dieser Siedlung lebt der Mythos, dass sich irgendwo im Urwald dieser Insel eine alles wissende und heilige weisse Cobra aufhält. Mittels gedanklicher Uebertragung soll sie mit den Menschen kommunizieren können. "Wo ist denn deine Mama?" Der kleine Mann antwortet blitzartig und zeigt mit dem Finger auf die andere Strassenseite. Die einzige Frau in der angezeigten Richtung, auf einer Bank vor dem Gemüsehändler sitzend, hebt ihren Arm und winkt ganz freundlich und lächelnd........ pas2002