Grünes Gras
18.02.2010 à 20:33
Grünes Gras, glitzernde Tautropfen, der Geruch von Heu. Schmetterlinge die leichtfüssig von einem Blatt zum nächsten springen, ein kühler Wind der durch die Gräser streicht . Ein Haus das ganz für sich alleine steht . Einsam, morsch, alleine. Warme Sonnenstrahlen fallen auf den Hinterhof. Fallen auf ihn. Eine kleine Gestalt. Feingliedrig, unschuldig, ahnungslos. Er spielt Ball. Lässt ihn auf und ab springen, wirft ihn gegen die Wand und wartet bis er wieder in seine Hände zurückprallt. Stille herrscht. Eine einsame Stille. Nur er und der Ball und der Hinterhof. Das gelegentliche Aufschlagen des Balles , das Zittern des Fahrradständers, die einzigen Geräusche in der Stille des Nachmittags. Er fühlt sich allein, er ist allein, er hat Zeit, wartet auf nichts und niemanden. Er verbringt seine Tage immer hier, seine Nachmittage. Immer hier im Hinterhof. Hinter dem Haus das er so gut kennt und das ihm doch so fremd ist. So unheimlich, so unberechenbar. Es ist zu gross, zu alt, zu morsch. Es macht die Einsamkeit spürbar. Die Wiesen, die Felder, die Wälder, alles gross, alles weit.
Ein dumpfer Aufschlag.
Nicht von seinem Ball.
Er hält den Ball fest in seinen kleinen, klommen Fingern. Er hält ihn als ob er ihn nie mehr loslassen würde. Fest und voller Angst.
Der Wind weht ums Haus. Ein kalter Luftzug. Er starrt in die Richtung aus der das Geräusch kam. Er starrt und starrt und starrt. Seine Füsse sind wie eingefroren, wie festgewachsen. Als er die hektischen Schritte aus der Richtung der Haustür hört, ist es zu spät. Ein für allemal zu spät. Die wenigen Geräusche sind auf einmal weg, völlige Leere, völlige Stille. Das erschreckte Gesicht seiner Mutter. Die weit aufgerissenen Augen, der weit offene Mund. Die Hände an die Schläfen gepresst, die Schritte hektisch doch lautlos.
Das Bündel Mensch lag einfach da, einfach da auf dem Boden. Regungslos. Tot. Ein für allemal tot. Er würde nicht mehr aufstehen, nie mehr. Er würde nie mehr zur Tür herein kommen, sein schelmisches Grinsen auf den Lippen und ihm sein Brot vom Teller weg klauen. Er würde nie mehr in den Hinterhof kommen und ihm zeigen wie man richtig mit dem Ball umzugehen hat. Nie mehr. Für immer.
Das Fenster unterm Dach stand weit offen. Der Wind umstrich das Haus sanft.
Seine Mutter kauerte neben dem regungslosen Körper und schrie. Sie schrie aus Leibeskräften. Riss Gräser aus dem Boden, schlug um sich – doch er hörte nichts, er hörte rein gar nichts mehr. Die Stille drang durch jede Ritze, durchs Haus, durch seinen Körper, durch die Wälder, durch die Wiesen. Die Gräser wogen sich im Wind, die Baumwipfel schaukelten hin und her – doch er hörte nichts. Einfach nichts.
Seine Beine trugen ihn, er wusste nicht wie schnell, er wusste nicht wohin. Sie trugen ihn weg - weit weg. Weg von der Stille, weg von dem Haus. Raus zum kleinen, plätschernden Flüsschen im Wald, da wo die Vögel singen und die Grillen zirpen. Da wo die Stille ihn nicht einholen konnte, wo sie weit, weit weg war. So weit weg, dass er sie nie mehr hören, sie nie mehr spüren würde.
Er lief und lief und lief, es kam ihm vor wie Stunden, wie Tage, die Sonne ging auf und die Sonne ging unter, doch sein Kopf war leer, sein Geist erstarrt.