Wir leben in der besten aller möglichen Welten!
25.07.2011 à 22:31
Nach den Ereignissen von Freitagnachmittag ist in Europa ein heftige Diskussion ausgebrochen und kaum jemand schweigt zu diesem Thema. Auch ich möchte diese schrecklichen Ereignisse als Anlass nehmen, um mal wieder etwas expliziter über die Welt nachzudenken und um darüber zu reflektieren, was mich umgibt.
Ich habe das ganze Wochenende über die aktuellsten Nachrichten in Print-, Radio- und Fernsehmedien verfolgt. Es war nicht wirklich etwas Positives dabei. Eine Musikerin starb, was aber neben den über 90 Toten in Skandinavien unterging; der Euro macht dem Kontinent - auch der Schweiz - zu schaffen und die USA können sich nicht einigen, wenn es um die wirtschaftliche Rettung ihres Landes geht. In Afrika herrscht die schlimmste Dürre seit Jahren und die UNO sucht verzweifelt - mitten in einer Wirtschaftskrise - nach Geld und Lösungen, auf dass dort nicht auch noch unzählige Menschen an Hunger sterben. In Nordafrika ist der Arabische Frühling scheinbar verwelkt. Da frage ich mich noch: Worauf sollte ich mich freuen, wenn ich morgens (auch am Wochenende) von meinem Wecker aus dem Schlaf geholt werde?
Da ich die Personifikation des Pessimismus bin, habe ich sehr lange nach einer Antwort gesucht. Die Menschen müssen sich wohl ähnlich gefühlt haben, als ein Erdbeben Lissabon 1755 erschütterte und die Menschen allem guten auf der Welt abschworen, da es keine Erklärung für diese Katastrophe gab. Doch einige Jahrzehnte zuvor formulierte Gottfried Leibniz den Satz "Wir leben in der besten aller möglichen Welten.". Ich möchte meinem Studienfach hier auch abschwören und diesen Satz nicht philosophisch auseinandernehmen, sondern darüber nachdenken, ob das so ist.
Ich denke, bei allem, was um uns herum geschieht, was dem Menschen gegeben ist oder was er sich selbst angeeignet hat, leben wir tatsächlich in der besten aller möglichen Welten! Ich bin mir der Dinge bewusst, die die Welt verschlimmern. Mörder, Vergewaltiger, korrupte Menschen, die mit dem Leben anderer spielen, als wäre es eine verschossene Papierkugel, Betrüger, Lügner und was dem geneigten Leser sonst noch einfallen mag. Ich kann diese Liste nicht komplettieren, aber wenn ich mir ausmale, zu welchen Dingen der Mensch fähig ist (und ich gehe jetzt über das hinaus, was wir schon erleben durften) und sein wird, muss ich doch sagen, dass wir Glück haben. Es gibt erstaunlich wenig Verrückte. Die Ereignisse von Freitag haben uns gezeigt, wie einfach es ist, Gesellschaften in ihren Grundfesten zu erschüttert und der Ausmass des Schocks zeigt doch letztlich, wie gut wir es eigentlich haben. Dass wir überhaupt so geschockt sind, zeigt, dass wir uns solche Taten nicht gewöhnt sind. Ich würde wetten, dass wenn jeder in sich hineinhorcht, er irgendwo eine kleine "verrückte" Stimme hört, die ab und zu zum Auf- und Ausbruch ruft und es der Welt mal richtig zeigen will. Denn Frust gehört zu unserer Lebensweise. Frust generiert diese kleine Stimme und mit dem, was uns medial und gesellschaftlich umgibt, wird diese Stimme mit Ängsten gefüttert. Ängste und Frust ergeben eine tödliche Kombination. Doch ich frage mich, wovor wir eigentlich Angst haben.Haben wir vielleicht Angst, dass wir für das, was unser "Land" vor Generationen anderen Teilen der Welt angetan hat, büssen muss? Haben wir Angst vor Fremden? Haben wir Angst davor, uns zu verändern? Uns wird eingeredet, dass wir Angst um unsere soziale, politische und wirtschaftliche Sicherheit haben müssen. Für unsere Sicherheit müssen wir alles aufopfern, was dazu nötig ist. Ich sage: Nein! Ich sage: Das einzige, wovor ein Mensch wirklich Angst haben sollte, ist vor sich selbst. Es geht nicht um eine lähmende Angst, die sich in Selbsthass wandelt und in der Selbstzerstörung endet. Aber wir alle wissen - oder ahnen es nur -, wozu wir als Mensch fähig wären, wenn wir es darauf ankommen lassen würden. Ich zeichne hier bewusst ein düsteres Bild vom Menschen, obwohl mir auch wahrlich grundgute Menschen begegnet sind. Doch wie immer im Leben, gibt es sehr wenig sehr gute und sehr wenig sehr schlechte Menschen. Die meisten von uns sind doch ehrlich nur in einer grauen Masse zwischendrin. Aber auch die graue Masse birgt Gefahren, wenn sie sich nicht dessen bewusst ist. Oft genug hat die Geschichte gezeigt, dass Massen leicht in die eine oder andere Richtung zu lenken sind, weil man sie mit fremden Ängsten gefüttert hat.Uns wird eingeredet, wir müssen Angst vor dem Islam, vor dem Terror, vor der Einwanderung, vor Fundamentalisten allgemein, vor Konflikten jeden Ausmasses, vor Beziehungsabbrüchen, vor der Rache Gottes (von mir aus), vor dem Verlust des Jobs haben… und ja: Existenzängste gehören in einem gesunden, geringen Mass zum Leben. Aber Angst darf uns nicht beherrschen und die meisten Menschen, die nicht allzu viel über das nachdenken, was sie sollten (auch was sie besser bleiben lassen sollten), haben diese Ängste auch nicht zu präsent im Kopf, bis man sie darauf hinweist.Wir tun viele Dinge aus Angst nicht. Wir trauen uns nicht, jemanden anzusprechen, der uns gefällt. Wir trauen uns nicht, einzugreifen, wenn wir eine Ungerechtigkeit oder Gewalt sehen. Wir trauen uns nicht, uns Dingen zu stellen, die uns auf den ersten Blick überfordern. Menschen verschwenden ihr Potential.Warum nicht den Job machen, den man insgeheim schon immer machen wollte? Warum sich nicht trauen, neues zu entdecken? Warum nicht… eine Spinne in den Garten aussetzen, statt sie zu erschlagen? Ich gebe zu, ich habe viele kleine Ängste und Neurosen, aber wenn ich kann, versuche ich trotzdem, meine Frau zu stehen. Wie immer plädiere ich hier nicht für eine extreme Position, bei der man immer auf's Ganze gehen sollte. Ich plädiere dafür, sich mit sich selber zu beschäftigen. Sich seinen kleinen Ängsten zu stellen, um dann die wirklich grosse Angst zu erkennen - wenn man sie überhaupt hat!! Ich plädiere für politisch ungefärbte Werte wie Akzeptanz, Respekt, Rücksichtnahme und Common Sense! Letzteres ist mehr eine Utopie, denn schon bei zwei Personen kann der Common Sense unterschiedlich aussehen. Ich denke, wenn Menschen das tun, werden sich viele "politische" Ängste ganz von selbst lösen, wie der Buhmann im Keller, vor dem man als Kind Angst hatte. Ziemlich bald leben 7 Milliarden Menschen auf der Welt… und wir können vielleicht nicht mal mit unseren Ex-Partnern oder Familienangehörigen sprechen…
Vielleicht bin ich naiv, wenn ich mir eine Welt wünsche, die von weniger Angst beherrscht ist. Angst, so denke ich, ist der Ursprung der meisten Handlungsmotivationen. Das sollte nicht so sein. Manchmal sollte man auch Dinge tun, weil sie den Wesen etwas bedeuten, die es betrifft, unabhängig davon, wie sinnlos das für aussenstehende Menschen erscheinen mag (der Spinne bedeutet es sicher etwas, wenn sie noch ein paar Tage leben darf). Das klingt ziemlich nach der "verlorenen" Naivität eines Kindes. Ich gönne mir diesen Moment und ich geniesse ihn. Denn ich weiss, dass es naiv ist. Ich weiss, dass der Mensch dieses gute Potential hat und es nicht wirklich nutzt. Ich weiss, dass der Mensch das Potential zum Bösen hat und auch diesen nicht wirklich ausschöpft. Diese Balance macht unsere Welt zur besten aller möglichen Welten.