Adiós Revolución! Von Heinz G. Schmidt. Mexico – die Revolution der Studenten.
19.02.2008 à 14:47
Schmidt: Morgens um sieben ist die Welt – auch in Mexico City – noch einigermaßen ruhig und still. Vor allem hier auf dem Platz der drei Kulturen, la Plaza de las tres Culturas, also der Kultur vor der Ankunft des Columbus, die Kultur, die Columbus mitgebracht hat und die moderne, auf die Mexico baut. Auf diesem Platz gab es das große Unglück im Jahr 1968, und ich sitze hier an diesem Stein, einem Gedenkstein, der mitten auf dem Platz der drei Kulturen errichtet wurde – einem weitläufigen Platz mit Ausgrabungen und einer alten Kirche. Auf diesem Stein sind die Namen von einigen der Companeros verzeichnet, die damals ums Leben kamen. Und der Stein schließt mit einem Zitat: Nicht eine Minute des Schweigens gab es, und der Tag verging, ohne dass sich irgendjemand darüber klar wurde, dass hier die Revolution blutig zusammengeschlagen worden war.
(Professor Dr. Fausto Trejo Fuentes) El dos de octubre significa ante todo ...
Sprecher: Der 2. Oktober bedeutet vor allem den Höhepunkt der schrecklichen Repression, in deren Verlauf unsere Bewegung zerstört, zunichte gemacht werden sollte. Mit dem Ergebnis von mehr als 700 Toten. Ich war damals Mitglied in der Vereinigung der Lehrer für die demokratischen Freiheiten, und diese Gruppe entstand zur selben Zeit, als auch der Nationale Streikrat von den Studenten Mexicos zusammengerufen wurde. Unsere Vereinigung wuchs in jenen Tagen auf 300.000 Lehrer an, die sich beteiligten.
Schmidt: Fausto Trejo Fuentes sitzt mir in einer stillen Ecke der Hotelhalle gegenüber und blättert in einem Bildband aus jener Zeit, um mir nicht in die Augen blicken zu müssen. Aber ich sehe, dass er weint. In dem Band sind Fotos zu sehen der ersten Massendemonstration, an der sich zwei Monate vor den Olympischen Spielen, die damals in Mexico stattfinden sollten, mehr als anderthalb Millionen Mexikaner beteiligten, Studenten, Indios, Fabrikarbeiter, Lehrer und Professoren, Beamte, das ganze Volk, wie Professor Trejo sagt. Er selbst gehörte zu denen, die sich um die Organisation kümmern. Er führte die Lehrer und Professoren an.
(Professor Dr. Fausto Trejo Fuentes)Las manifestaciones fueron de una ...
Sprecher: Die Demonstrationen nahmen dann solche Ausmaße an, dass die Regierung beschloss, sich sozusagen den Kern der Unruhen vor zu nehmen. Sie ließ die Universität besetzen. Das war zwei Wochen vor jenem schrecklichen 2. Oktober ... (Take läuft weiter unter folgender Moderation)
Schmidt: Dann werden weitere Hochschulen und auch Schulen und Gymnasien besetzt. Es gibt die ersten Toten.
(Professor Dr. Fausto Trejo Fuentes) Nosotros estuvimos exigentes siempre el dialogo ...
Sprecher: Wir forderten immer wieder den Dialog, aber der Dialog, den sie uns anboten, bestand aus Panzern und Soldaten. Diesen Dialog wollten wir nicht.
Schmidt: Jetzt stelle ich mir diesen Tag im Oktober vor, den Platz, die Kirche, die Ausgrabungsstätten. Was passierte?
(Professor Dr. Fausto Trejo Fuentes) Llegue un poco tarde ...
Sprecher: Als ich also dort ankomme, fliegt ein Hubschrauber gerade über den Platz. Hier ist das Foto: Sie sehen alle nach oben, wo der Hubschrauber fliegt. Die meisten dieser Kinder wurden ermordet. Der Hubschrauber wirft dann eine grüne Leuchtbombe, kurz darauf eine rote. Da beginnt das Massaker. Von allen Seiten, von den Balkonen der Gebäude, die rund um den Platz der drei Kulturen stehen, tauchen plötzlich Soldaten mit Maschinengewehren auf und schießen auf die versammelten Studenten. Sie tauchen auf den Gebäuden auf, auf dem Hochhaus 2. April, auf dem Hochhaus Chihuahua, auf der Kirche, auf dem Außenministerium und schießen in die Menge, es ist schrecklich. Wir werfen uns also auf den Boden und in dem Augenblick tauchen Panzer auf, von allen Seiten, und beschießen den Platz. Da nimmt mich ein Junge von vielleicht 18, 20 Jahren und sagt: Professor, sind Sie verletzt? Kommen Sie, wir müssen hier weg! Dann legt er den Arm um mich und wir gehen vielleicht zehn Schritte, als eine Kugel ihn am Kopf trifft. Diese Kugel sollte mich treffen, aber der Junge hat mir mit seinem Leben mein Leben gerettet. Dieser Augenblick war entscheidend für mich und mein Engagement und alle Kämpfe, die ich später geführt habe für die jungen Leute, für mein Volk. Ein Junge rettet mir das Leben. Ein Junge wird von der Kugel getötet, die mich hätte töten sollen. Er fällt vor meine Füße. Ich knie neben ihm, ich weiß nicht wie lange, dann sehe ich, wie eine Gruppe von Jugendlichen in Todesangst zur Kirche gelaufen ist und gegen die Tür hämmert, um eingelassen zu werden. Die Kirchentür blieb verschlossen. Die Priester öffneten die Kirche nicht.
(Glocken der Kathedrale)
Schmidt: Rund eine Stunde dauert das Massaker. Danach fahren Lastwagen vor und transportieren die Toten fort. Zeugen berichten später, dass die Leichen dann außerhalb der Stadt verbrannt wurden, dass aber Schreie zu hören waren. Offenbar wurden auch lebende Jugendliche mit verbrannt. Nachdem der Platz der drei Kulturen gesäubert war, eröffnete wenige Tage später der Verantwortliche dieses Mordens, der Präsident Gustavo Díaz Ordaz, unter dem Jubel der Welt die 19. Olympischen Sommerspiele in Mexico. Zur gleichen Zeit beginnt die Stadtguerilla ihren Kampf, auf dem Land entstehen geheime Kampfgruppen, die Saat ist gelegt für die Zapatistische Befreiungsfront, die später in der Provinz Chiapas unter den Augen der Welt und mit großer Anteilnahme von Solidaritätsbewegungen den Aufstand proben wird. Sie nennen sich nach Emiliano Zapata, dem Bauernführer, der 1912 der Diktatur Mexicos den Kampf ansagt. Aber es sieht nicht immer nach Sieg aus.
Sprecher: Die dezimierte Armee Emiliano Zapatas leidet Hunger und Krankheit, doch der Anführer der Landlosen weiß, was er will, und seine Leute glauben an das, was sie tun; und weder Brandschatzungen noch Zwangserhebungen können daran etwas ändern. Während die Zeitungen der Hauptstadt berichten, die zapatistischen Horden seien vollständig vernichtet worden, überfällt und zerstört Zapata Garnisonen, besetzt Dörfer, fällt in Städte ein und streift nach Belieben über Berg und Tal, und kämpft und liebt wie immer. Zapata schläft, wo er will und mit wem er will, aber von allen bevorzugt er zwei, die einzige sind.
Sprecherin: Wir waren Zwillingsschwestern. Ihr gab man den Namen Luz und mir den Namen Gregoria, und wir waren schon zwei junge Fräulein, als die Zapaterei zu uns kam. Der Anführer fing sofort an, meine Schwester zu überreden, sie solle mit ihm kommen, und eines schönen Tages nahm er sie einfach mit. Später starb meine Schwester an einer schweren Krankheit, damals hat Zapata drei Tage weder gegessen noch getrunken. Nachdem die Totenwache vorbei war, kam er zu mir und sagte, dass wir schließlich Zwillingsschwestern waren, und er nehme mich mit an ihrer Statt. Und das tat er dann auch.
Sprecher: Die Lumpenkleider gewinnen den Krieg gegen die Seidenhemden. Porfirio Díaz, der Diktator, flieht. Die Bauerngeneräle Emiliano Zapata und Pancho Villa haben gesiegt, doch sie wissen nicht, was sie mit dem Sieg anfangen sollen. Als es Abend wird, geht Zapata in ein billiges Hotel ganz in der Nähe des Bahnhofs. Nach ein paar Tagen fährt er ab in den Süden. Und in einer alten Mühle des Dorfes Tlaltizapán errichtet er sein Hauptquartier, von wo aus er Zuckerfabriken und Destillerien nationalisiert und gibt den Gemeinschaften das Land zurück, das ihnen im Lauf der Jahrhunderte geraubt worden war.
Schmidt: So beschreibt Eduardo Galeano, der lateinamerikanische Chronist, die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts des Sturms, wie er es nennt. Im Jahr 2000, zum Ende des Sturms, zieht endlich das ganze mexikanische Volk Konsequenzen: Nach fast siebzig Jahren Regierungsmacht der PRI, der konservativen Staatspartei, wählt Mexico im Jahr 2000 den Gegenkandidaten.
Schmidt:El partido legitimo successor de la revolucion ...
Schmidt: Die eigentliche, die offizielle mexikanische Revolution endet im Jahre 1917 mit der Verfassung Mexicos, die noch heute Gültigkeit hat. 1929 dann wird die PRI gegründet, die institutionelle revolutionäre Partei Mexicos. Manuel Jiménez Guzmán war bis vor kurzem ihr Vorsitzender. Institutionell und revolutionär?
(Manuel Jiménez Guzmán, ex-Vorsitzender PRI)Este es un gran debate ...
Sprecher: Es gibt uns seit dem 4. März 1929, ich zitiere: „auf dem Weg von einem Land der Caudillos, der revolutionären Generälen, zu einem Land der Institutionen“. Also die Errichtung eines souveränen Staates, die Verstaatlichung des Erdöls, der Elektrizität und des Wassers, die Verteidigung des unabhängigen Staates Mexico.
Schmidt: Aber eine Revolution dauert normalerweise an, sie ist keine institutionalisierte Tatsache.
Sprecher: Das sagen auch die Politikwissenschaftler genauso wie die Sozialwissenschaftler der autonomen Universität Mexicos. Deshalb müssen wir uns auch bemühen, die Institutionen zu reformieren und ständig zu verändern, und das ist eigentlich die revolutionäre Veränderung unserer Zeit.
Schmidt: Es gibt Leute, die sagen, gerade das Jahr 2000 hat ein Stück Revolution gebracht – als die PRI abgewählt wurde. Da gab es plötzlich ein Stück Demokratie mehr.
Sprecher: Wissen Sie, ich war 1968 dabei, als Schüler in einem Gymnasium, und ich weiß, was ein Staatsstreich und eine autoritäre Staatsführung bedeuten. Denn danach begann eigentlich die Veränderung in der mexikanischen Gesellschaft, mit einer demokratischen Öffnung in den 70ern. .Plötzlich nahmen Studenten und Professoren und Bauern und Arbeiter die Sache in die Hand. Die Revolution hat sich tatsächlich geöffnet .
Schmidt: Und zwar gegen die Politiker und vor allem gegen die PRI ...
Sprecher: Das stimmt, und die PRI muss diese Herausforderung auch annehmen. Wir haben die letzten Wahlen 2000 verloren – wegen unserer eigenen Schwäche, das müssen wir eingestehen.
Schmidt: Und die PRI wird um Verzeihung bitten für all das Unrecht, das 1968 und 1971 und in all den Jahren danach geschah?
Sprecher: Die PRI ist als Partei für dies Unrecht nicht verantwortlich, das waren einzelne Persönlichkeiten, auch in der PRI, die das zu verantworten haben. Denn keine Gesellschaft darf sich selbst kasteien wie das christliche Sekten oder religiöse Fanatiker tun. Wir müssen ganz selbstkritisch und in revolutionärem Sinne sagen: Wir haben uns geirrt.
(Glocken der Kathedrale)
Schmidt:Ich weiß nicht, ob man hören kann, wie groß dieser Platz ist, auf dem ich gerade stehe. Es ist der größte Platz Mexicos, ungefähr viermal so groß wie ein Fußballfeld: Zocalo, der Platz der Verfassung, also der revolutionären sozialistischen Verfassung aus dem Jahre 1917. Mitten auf dem Platz die Fahne Mexicos, grün-weiß-rot, mit dem Schild in der Mitte und auf dem Platz Hunderte von Menschen, eine Zeltstadt auf dem einen Ende im Protest gegen die Regierung, ein paar Kunststudenten, die aufs Pflaster malen, Ringe werden verkauft wie auf der ganzen Welt ... und es gibt einen Ritus hier mit einem Indianer mit langen Haaren, der mit Rauch ... er hat gerade gesagt, er liebt mich ... und dieser Rauch hüllt diesen Mann jetzt ein und offensichtlich soll das ihn reinigen von all der Schuld, die die Indios angeblich auf sich geladen haben. Jetzt beginnen auch die Glocken der Kathedrale zu läuten, die gleich hinter mir ist und die über diesen Platz hinwegschaut.
(Atmo Kircheneingang und Gesang) (Atmo Oremus)
Schmidt: Die Kirche spielt in ganz Lateinamerika eine wichtige Rolle, auch bei den revolutionären Prozessen, die überall und immer wieder aufflammen. Im Süden Mexicos war es vor mehr als 500 Jahren der Pater Bartolomé de las Casas, der die Gräuel niederschrieb, die die Soldaten des Königs von Spanien an den Indios dieser Gegenden verübten. Der Bischof von Chiapas, Don Felipe Arismendi:
(Bischof Felipe Arismendi, Chiapas) Hoy sigue siendo necesario un testimonio ...
Sprecher: Tatsächlich wäre auch heute ein solches Zeugnis, wie es damals der Pater Bartolomé de las Casas niedergeschrieben hat, notwendig, um weiter für die Rechte der Indiovölker zu kämpfen.
Schmidt: Warum hat sich in diesen 500 Jahren nichts geändert?
Sprecher: Es hat sich zu viel geändert. Es gibt überall neue Straßen, es gibt Wasser und Elektrizität, doch, es ist viel unternommen worden – wenn auch nicht soviel, wie nötig gewesen wäre angesichts der unübersehbaren Verarmung. Eines hat sich allerdings bedeutend verändert: Mit der Hilfe der Kirche und besonders meines Vorgängers, des Bischofs Samuel Ruiz García, werden sich die Indios täglich mehr ihrer Würde, ihrer Rechte und ihres Platzes in der Geschichte bewusst. Es ist bewundernswert, wie in den abgelegensten Orten im Urwald sich die Indios klar darüber sind, dass sie die soziale und religiöse Entwicklung selbst steuern müssen. Sie fühlen sich nicht mehr als Objekte der regierungsamtlichen Aufmerksamkeit, sondern sie haben sich zu Subjekten, zu Handelnden der Geschichte gemacht.
Schmidt: Der Taxifahrer, der mich zu Ihnen gefahren hat, behauptete mit großem Ernst, dass die Indios die Ursache für alles Böse und jedes Übel in der Stadt sind.
Sprecher: Ich habe selbst Schwierigkeiten bekommen. Wir machen seit einiger Zeit eine Messe in der Sprache der Tzotzi, und dagegen haben einige Gemeindemitglieder protestiert. Aber ich meine, sie haben die gleichen Rechte wie jeder andere, in ihrer eigenen Sprache angesprochen zu werden, und es gibt hier in der Stadt viele Tzotzi-Indios.
(Schmidt) Scientificos en la ciudad de Mexico ...
Schmidt: Es gibt Fachleute in Mexico, die behaupten, dass die mexikanische Revolution 1910 begann, sich dann 1968 fortsetzte bei der Stadtguerilla und der Landguerilla, und dass sie ihren Höhepunkt erreichte mit den Zapatisten hier in Chiapas.
Sprecher: Nein, den Höhepunkt hat sie noch nicht erreicht. Denn die Ziele einer guten Revolution sind noch nicht verwirklicht – und das wäre soziale Gerechtigkeit. Und die gibt es bisher weder in Chiapas, auch nicht in Mexico, noch in Lateinamerika. Es gibt immer noch Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Deshalb ist unser Ziel auch weiterhin, die Gerechtigkeit zu suchen, den Frieden und die Versöhnung. Dass die Bauern beispielsweise einen besseren Preis für ihren Kaffee erzielen, statt ihn an den Börsen von London und New York zu handeln. Sorgt dafür, dass der Kaffee, den ihr in Europa trinkt, gerecht an die Leute von Chiapas und an alle Kaffeebauern in Lateinamerika bezahlt wird. Ungerechtigkeiten sind schlimm, und sie müssen verändert werden. Helft uns dabei.
Musik: Hermanas y Hermanos Díaz, Canzone para una estrella 1. Teil (Eigenkomposition)
Schmidt: Ein Fest in einem von Blumen überquellenden, mit Hunderten von Kerzen geschmückten Innenhof in einem der alten säulengeschmückten und mit Balkonen verzierten Häuser der Stadt San Cristóbal de las Casas, in Chiapas, im Süden Mexicos. Das Haus war einst eine alte Posada, ein Landgasthof. Jetzt wird es von einer weltumspannenden Hotelkette übernommen. Bischof Felipe Arismendi ist gebeten worden, das Haus zu segnen. Und die Hermanas und Hermanos Díaz – insgesamt sind es acht Geschwister – spielen dazu auf ihren Marimbas.
Musik: Hermanas y Hermanos Díaz, Canzone para una estrella 2. Teil (Eigenkomposition)
Schmidt:Nun bin ich ungefähr tausend Kurven gefahren durch die Berge, ich bin 3000 Meter hoch gefahren und endlich bin ich schließlich in eine Stadt gekommen, die heißt Comitan, und die liegt ganz im Zentrum von Chiapas. In Comitan ist eine Kaffee-Kooperative, die es schon seit 25 Jahren gibt, also auch damals schon, als der Konflikt in Chiapas begann. Cuentame que pasó. Nosotros estamos ahora ...
(José Gorqui Jiménez)Esta bodega funcionó cómo un refugio ...
Sprecher: Diese Lagerhalle funktionierte damals als Flüchtlingshaus für verschiedene Dorfgemeinschaften. Alle waren aus ihren Dörfern geflohen, und da wir nicht wussten, wo wir hingehen sollten, gab uns die Kooperative diese Halle. Zuerst wurde der Kaffee herausgeschafft, dann bauten wir uns Wände ...
Schmidt: Auch deine Familie kam hierher.
Sprecher: Ja, aus dem ganzen Urwaldgebiet, vielleicht achtzehn Dörfer.
Schmidt: Und du auch.
Sprecher: Ich auch, das war 1994, ich war damals zehn Jahre alt. Ich erinnere mich noch, dass sie den Großeltern eine eigene Ecke gaben und für die Kinder eine andere. Wir sind in der Familie acht Geschwister, fünf Jungen und drei Mädchen. Als der Konflikt begann, kamen wir alle hierher, auch meine Eltern. Es war bewölkt, einige kamen und sagten, es gäbe eine Volkserhebung, und dann kamen Lastwagen vorbei, und es hieß, es wäre besser, wenn wir verschwänden. Wir nahmen alles mit, die Papiere und Dokumente, und wir waren zu Fuß.
Schmidt: Hattest du Angst?
Sprecher: IIch erinnere mich, dass ich ein bisschen Angst hatte aber nicht viel. Ich war ja erst zehn, und sie würden uns schon nicht töten, dachte ich. Die Zapatisten hatten Kapuzen übergezogen, das war lustig. Gut, einige Kinder in meinem Alter damals hatten Angst, weil immer wieder die Rede war von Krieg und Aufstand und so.
Schmidt)Pero hubo muchachos ...
Schmidt: Aber es gab auch Jungen und Mädchen aus eurem Dorf, die zur Guerilla gingen.
Sprecher: Ja. Und trotzdem war es manchmal merkwürdig. Dann kamen die Zapatisten und sagten, jetzt sollten wir uns alle erheben, aber dann hatten sie keine Waffen. Von unserem Dorf ging trotzdem ein gut Teil zu den Zapatisten, das heißt, wir gingen weg und sie blieben in den Häusern zurück.
SchmidtHoy tienes 20 anos y trabajas en la cooperativa ...
Schmidt: Jetzt bist du zwanzig und arbeitest in der Kooperative.
Sprecher: Seit zwei Jahren. Eigentlich studiere ich noch. Aber ich hab eine Prüfung verhauen ...
Schmidt:Welche Uni?
Sprecher: Chapingo, also in der Stadt Mexico. Und da bin ich wieder in mein Dorf zurückgekehrt. Aber mein Vater sagte, dann wird gearbeitet. Und danach kannst du immer noch weiterstudieren.
Schmidt: Inzwischen sind wir durch die riesige Lagerhalle gewandert, und ich stelle mir vor, wie hier achtzehn Dorfgemeinschaften wohnen, Indios wie José Gorqui auch, wie hier gekocht und gegessen wird, geschlafen und gespielt. Übrigens heißen die Jungen in seiner Familie alle José, und um sie zu unterscheiden hat die Mutter ihnen jeweils den Namen eines Schriftstellers gegeben, mit dem sie sich zur Zeit der Geburt der Kinder beschäftigte: José Tolstoi, José Sartre, José Gorqui.
(Böller und Kirchenlied)
Schmidt: In Chiapas, im Süden Mexicos, gibt es jede Woche ein Fest, meistens zu Ehren Marias, der Muttergottes. Und das geht in Mexico nie ohne Raketen ab.
Schmidt: Professor Fausto Trejo Fuentes, einer der Führer der Demonstrationen von 1968, wurde übrigens damals zu zwei Jahren Gefängnis wegen Aufruhrs verurteilt, anschließend wurde er nach Uruguay ins Exil geschickt. Im Gefängnis, wenige Tage nach dem Massaker, schrieb er diesen Schwur nieder:
Sprecher: Meine Freunde sind weder vergessen noch wirklich tot. Sie leben heute mehr denn je. Und ihre Mörder müssen mit Schrecken zusehen, wie die siegreichen Ideale dieser meiner Freunde wieder auferstehen.
(Professor Fausto Trejo Fuentes) Mis companeros ni estan olvidados ... ... el espectro victorioso de sus ideales.
SchmidtValia la pena, todo esto?
(Professor Fausto Trejo Fuentes) Desde luego que si ...
Schmidt: Hat es sich gelohnt zu kämpfen?
Sprecher: Das Blut, das am 2. Oktober vergossen wurde und später unter der Repression und nun bei den Guerrilleros auf dem Land und in der Stadt all dies Blut hat das Gewissen und den Kampfeswillen des mexikanischen Volkes genährt. Dies Blut wurde nicht umsonst vergossen.
zum nachhören:http://www.swr.de/meta/swr2/extra/lateinamerika/107068.28_64s.rm.ram