Kulturmanagement rules. Van Gogh vs. Loveparade
21.09.2010 à 21:17
Zwischen April und September 2009 führte mein Arbeitsweg am Kunstmuseum Basel vorbei. Das tut er natürlich immer noch, nur damals herrschte Ausnahmezustand: Zu Gast im Haus war Vincent van Gogh, beziehungsweise seine Landschaftsbilder, die Museumsdirektor Bernhard Mendes Bürgi für einen Versicherungswert von 2’000 Millionen Franken nach Basel hatte karren lassen.
Tagtäglich also das gleiche Bild: Wallende Horden dickärschiger deutscher Apotheker- und Oberlehrergattinnen im oder kurz vor dem Pensionsalter belagerten das Kunstmuseum, gehüllt in helle, leichte Baumwollkleider, als wollten sie damit geradewegs in van Goghs Kornfeldern lustwandeln. Nach dem Museumsbesuch tänzelten die Damen, meist mit Provence-Hut, Foulard, dickem Vincent-Kunstband und anderer Merchandisingartikeln bewaffnet in verzückter Pose aus dem Museum hinaus in die reale Welt der gemeinen Passanten. Allerdings konnte die Welt den Damen noch einige Minuten nichts anhaben, oh nein: der Vincent-Flash hatte sie restlos aller irdischen Gepflogenheiten enthoben und so torkelten die leicht schwitzenden Bildungsbürgerinnen blind in die Arme oder auf die Füsse der Passanten – und meine.
Ein halbes Jahr und über 500'000 BesucherInnen später war ich heilfroh, dass die Gehsteige vor dem Kunstmuseum wieder leer waren. Irgendein unbekannter pickliger lettischer Installationskünstler übernahm das Zepter im Museum und leergefegt war der öffentliche Raum. Was hätte wohl van Gogh, das arme holländische Schwein, von den Besucherströmen, dem immensen Werbeaufwand, dem omnipräsenten «Presenting Sponsor» (die arg gebeutelte UBS), dem Schickimicki-Catering und der geölten Merchandising-Maschine gesagt? Wir wissen es nicht. Wir wissen nur: Dank eines ausgeklügelten Reservations- und Zeitfenster-Ticketsystems kam es selten zu Wartezeiten oder überfüllten Museumssälen. Eine halbe Million Menschen als artige, ferngesteuerte Jüngerinnen und Jünger des Mega-Kulturevents. Kulturmanagement rules!
Etwas weniger gut geplant war die Lenkung der Zuschauerströme in Duisburg, an der Loveparade Ende Juli 2010. Auch hier, ein Mega-Kulturevent. Kein Pfadilager! Loveparade-Boss Rainer Schaller verhandelte bei der Sponsorensuche der Einfachheit halber mit sich selber und so war seine Fitnesskette McFit Hauptsponsor der Loveparade. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland hatte die Parade mit dem Titel «The Art of Love» unbedingt in seine gebeutelte Kohlenpott-Stadt holen wollen, mit dem Segen der Chefs der RUHR.2010 notabene (Kulturhauptstadt Europas). «Ich betrachte die Loveparade als eine gute Gelegenheit der Welt zu zeigen, wie weltoffen, tolerant und insbesondere spannend unsere Stadt ist», meinte Sauerland vor der Parade. Spannend, ja unerträglich spannend war sie, vor allem für die 21 Toten und die über 500 Verletzten der Massenpanik im Tunnel.
Technofloats und frohe Mienen,
jede Menge Strapsblonndinen.
Geilheit, Gier und Geltungssucht,
zermalmt im Tunnel ohne Flucht.*
Hätten die jungen Leute anstatt der Loveparade doch auch ein schönes Museum besucht, so wie ihre wallenden Landsfrauen damals in Basel! Es gab doch wunderbare Ausstellungen in Duisburg: Ein Besuch des Museums der Deutschen Binnenschifffahrt hätte ihnen gewiss den kulturellen Oberflash verpasst – besser als Pillen! Aber nein, Loveparade musste es sein, weil Kulturmanager, Politiker, Sponsoren und Körperkult es so wollten.
Kulturetat, Millionenschulden?
Totentanz und Groß Paraden.
Dollarzeichen, Blütengulden,
Gedanken an den Image Schaden.*
Van Gogh-Ausstellung und Loveparade Duisburg also. Meisterwerke des Kulturmanagements. Oder? Nein, blöd wie Gurke. Und erst noch gefährlich.
Nichts gegen Professionalisierung, man möchte schliesslich auch nicht von einem georgischen Schweinezüchter im Pilotensessel auf die Kanarischen Inseln geflogen werden. Ein Profi muss her. Ein Kulturmanager. Der Master in Kulturmanagement an der Uni Basel kostet 21'500 Franken. Seit bald 10 Jahren gibt es das Studium, das wiederum ein abgeschlossenes Unistudium voraussetzt. Professionalisierung aber führt zu Verflachung, zu Gleichmacherei, zu Eventitis, zu aufgeblasener Cüpli-VIP-Kultur, zur reinen Marktwirtschaft und meint damit auch, dass es keine Subkultur geben darf. Oder wenn es eine gibt, wird sie gefresssen. Schliesslich führt Professionalierung auch zu lähmendem Perfektionsstreben. «Meist heisst Professionalisierung: Inhalt raus, Cafeteria und Shop rein», so die Journalistin Barbara Basting** in einem Referat zur Professionalisierung in der Kulturwirtschaft. Womit sie recht hat: Der Inhalt kommt längst an zweiter Stelle. Kultur, oder Kunst, ist Ware, die konsumiert werden muss. Wie Waschpulver, Fussball, mp3, Handy. Widerstand zwecklos, Anpassung Pflicht.
Wenn KünstlerInnen und Kulturschaffende nur noch als reine Unternehmer von Unis Gnaden agieren, sind Kunst und Kultur nicht mehr frei, sondern langweilig. Na, drauf gschissen. Ab September ist Andy Warhol im Kunstmuseum Basel zu Gast: «The Early Sixties». Warhol, der Erfinder des Künstlers als Unternehmer. Konsequent, nicht wahr?© 2010 http://www.saiten.ch/
cf.
*aus dem Trauerforum von loveparade.de
** Barbara Basting, 13 kritische Thesen und Beobachtungen, 2005, Karthause Ittingen
http://www.kulturmanagement.org/fileadmin/user_upload/redaktion/Basting_Barbara_Referatstext.pdf