Erlaubt ist, was nicht stört.
31.08.2012 à 12:39
Der Regen prasselt auf uns nieder, die Gesichter der lieben Zürcher sind noch hässiger als sonst, die Trams und Busse quietschen und platzen aus den Nähten, es ist nass, kalt und grau. Zürich im Regen gleicht einer Beerdigung auf Staatsebene. Man wettert über das Wetter, wo bleibt die Sonne? Heult doch. Es war ja heiss, viel zu heiss. Ihr konntet genug in der Badi hocken. Ich mags ja lieber etwas kühler. Muss nicht um den Gefrierpunkt sein, denn dann motz ich auch, aber wenigstens kann man bei diesem Wetter besser atmen. Und lüften. Und warme Pullis anziehen. Hallo, es ist schliesslich bald September! Mann.
Jedenfalls sitze ich heute Mittag im 15-er Tram und höre Musik. Natürlich via Kopfhörer, denn ich bin keine 16 Jahre alt und muss meine Musik nicht mit allen teilen. Wäre mir auch etwas peinlich. Nun gut. Da sitze ich und höre trotz Beschallung meiner Ohren eine südamerikanische Sängerin im Tram "Guantanamera" singen. Ein schönes Lied. Naja. Zumindest hat sie eine schöne Stimme.
Nach den ersten paar Tönen schnaubt mein älterer Sitznachbar schon dermassen, als würde er für einen Büffelschnaub-Wettbewerb üben. Murmelt Unverständliches vor sich hin. Nach einer Tramstation ist die Troubadourin auch schon wieder fertig mit ihrer gesanglichen Darbietung und bittet die Fahrgäste freundlich um etwas Geld. Nun schnaubt mein Sitznachbar noch heftiger als ein überhitzter Teekocher und wartet nur darauf bis sie unsere Plätze erreicht hat, um ihr mitzuteilen, dass es verboten sei, in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu betteln und zu singen. Unterstützt wird der unausgeglichene Herr von der etwas zu fest geschminkten Menopause-Tussi, die mit geschätzten 60 Jahren immernoch "hipp" sein möchte und sich dementsprechend gekleidet hat. Weisse Jeansjacke mit Nieten. So schön. "Die sött sich gschiider en Job sueche!" raunt sie dem Herr augenrollend zu, der ihr sofort mit übertriebenem Nicken zustimmte.
Wahrscheinlich hat die fesche Dame selber noch nie richtig in ihrem Leben gearbeitet. Oder vielleicht auch schon, was weiss ich. Aber so wie ich sie nicht verurteile (ausser die Jacke, die geht gar nicht), sollte sie die Bettlerin / Sängerin / was weiss auch ich nicht verurteilen. Wer weiss, ob sie sich damit einfach noch einen Batzen dazu verdient. Wer weiss, vielleicht wollte sie auch einfach die Haushaltskasse bisschen aufstocken um ihren Kindern ein Geburigeschenk kaufen zu können. Leben und leben lassen, bitte. Und falls euch die Musik nicht gefällt, ja dann haut doch ab und fährt mit euren scheiss Offroadern in die Stadt. Erlaubt ist, was nicht stört. Ist so eine 2-minütige Sing-Session echt so störend? Ich finde nein.
"Gopfätamminonemal", sage ich dem Rentner, "Etz tüend sie doch nöd eso, lönd Sie sie doch singe! Tuet ja niemertem weh! Und bitz Musig isch ja no schön wänns ja scho so grusig rägnet, oder." Es sei ja schliesslich "Guantanamera" und nicht "Guantanamo". Ohne ein Wort zu sagen steht der Greis auf und blickt mich böse an. Ich lächle ihm zu und schenke der Tramsängerin etwas Münz. Ja, natürlich. Ich weiss. Betteln ist nicht erlaubt. Ja ja, Musizieren auch nicht. Aber hey, ist doch halb so schlimm. Eure Ruhe ist ja bald wieder ungestört. Nöd brüele. Ich stehe auch auf und verlasse das Tram, der ohrenbetäubende Lärm der mindestens 500 Baustellen rund ums Bellevue machen mir das Musikhören unmöglich. Was solls. Leben und leben lassen, beruhigt euch, gibt schlimmeres auf der Welt. Oder?
Die Ruhe wird auch am Samstag massiv gestört, aber schön legal und garantiert ohne griesgrämige Rentner und rassige Nieten-Jacken-Damen. Denn dann findet die nächste "Ruhestörung" im EXIL statt. Dieses Mal werden die international bekannten DJs und Producer TASK HORIZON zusammen mit dem bombastischen MC SPYDA aus England ihr neues Label "EVOLUTION CHAMBER" lancieren. Mit dabei sind auch die Herren Spite, Tony Martinez, Inca und Randy. Es wird laut, es wird gut und es wird Bass geben. Viel Bass. Und wer weiss, vielleicht erscheint ja die "Guantanamera-Tram-Sängerin" als Special Guest? Wir werden sehen. Oder hören.
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