Brennendes Blut (oder das Kreuzworträtsel für die Gekreuzigten) Teil 1
10.05.2009 à 17:43
Er war kein Besonderer in den Augen seiner Eltern. Nur ein Feuer dessen Flammen kein Papier verbrennen konnten. In seinen Augen funkelte eine eisige Kälte, die jeden Augenblick der Ewigkeit verschmelzen konnte. Blau waren sie. So tiefgekühlt wie sein Charakter, glaubten sie. Er wollte immer eine Gute-Nacht Geschichte hören. Und dann wollte er die Geschichte seinen Eltern erzählen. Immer wieder, während dem Frühstück und mitten im Schlaf. Lesen konnte er früher als alle anderen in seiner Klasse. Sie hassten ihn. Er konnte dann auch schreiben und er schrieb: Sie hassten ihn.
Er brauchte auch keine Bibel - er würde sie selber schreiben. Für Sie. Für jeden gab es einen Stern. Doch die Sterne am Himmel gefielen ihm viel besser. Tragen musste er sie, aber von ertragen war keine Rede gewesen. Seine Identität trug er in anderer Form - er schrieb auf Papier, mit Tinte. Im Gefängnis benutzte er Steine und die vier Wände. Sie funkelten mit leeren Weisheiten. Im Ghetto schnitzte er in das Holz des Fussbodens. Alle stolperten, als sie seine Wohnung betraten. Waren sie alle Analphabeten? Sie hatten ja alle zu beten gelernt. Sie mussten jetzt nicht mehr Lesen können. Sie waren die Auserlesenen - die verdorbene Ernte ihres Schicksals.
Eines Tages wurden sie alle aus dem Schlaf gerufen. In Nachthemden hörten sie das Megaphon rufen. Gott war es nicht. Nur der Teufel in der Wiedergeburt eines Schnurrbarts. Was war die Aufruhr? Sie hatten ein Buch gefunden. Jemand hatte es an den Kopf eines Offiziers geworfen - im Dunkeln.
Das Buch wurde von einem Offizier in einen Scheinwerfer gehalten. Es war zerfetzt. Der Rand von jeder Seite war mit Blut beschmiert. Auf alten Zeitungsseiten waren wenige Wörter geschrieben. Gebunden war das Buch mit vielen Davidsternen, welche in einem Muster sich überdeckten und im trockenen Blute ertränkt einen steifen Stoff bildeten. Im starken Licht des Scheinwerfers war der Titel von allen klar zu lesen. Die Wörter waren mit einer Mischung aus Blut und Kohle geschrieben worden - Ein Kreuzworträtsel für die Gekreuzigten. So hiess es.
Wem gehört es? wurde gefragt, wurde gestaunt. Und es wurde Antwort gegeben. Er stellte sich zum ersten Mal vor, aber nicht vor den Anderen. Nur in den Licht des Scheinwerfers stellte er sich. Wo ist dein Stern? fragte der Offizier. Keiner trug den Stern. Er zeigte hinauf, und es sah aus, als ob er ihn begrüssen würde. Welche Unverschämtheit! dachte der Offizier. Doch er begrüsste ihn nicht. Höflichkeit war schon längst geflohen, weit über die Grenzen des Ghettos. Er zeigte einfach nach oben. Mit seinem Zeigefinger zeigte er in den Himmel. Es war Vollmond.